Die belohnte und gekrönte Demut Mariens, Teil 2
Nichts führt den Menschen weiter weg von Gott und Seinem Erbarmen, als Stolz und Hochmut. Den Stolzen widersteht Gott.
Teil 2:
Hieraus folgt nun von selbst, dass der entgegengesetzte Weg, der Weg der Demut, uns immer näher zu Gott und zur unerschöpflichen Quelle Seines Erbarmens hinführt, dass wir auf diesem Weg immer inniger mit Gott verbunden werden. Der wahrhaft Demütige ist durchdrungen von der Wahrheit, dass er sich selbst und aus sich selbst gar nichts ist. Mit vollster Überzeugung schreibt er alles Gute, das er etwa hat, Gott, dem Herrn, zu und gibt diesem die ganze Ehre. Er sucht nicht sich selbst; er überhebt sich nicht über andere; er verachtet niemanden. Er will nicht die Augen anderer auf sich ziehen, kein Lob und keinen Beifall von Seiten seiner Mitmenschen ernten. Er hat nur einen Wunsch, dass Gott in allem und alles gelobt und gepriesen werde. So erfüllt er in Wahrheit, was der Erlöser sagt: „Gebet Gott, was Gottes ist.“
Nun kann der Herr dem Drang seiner Güte ungehindert folgen und mit vollen Händen Seine Gaben über ihn ausstreuen. Daher heißt es in der Schrift: „Den Demütigen gibt er Seine Gnade.“ „Das Gebet des Demütigen dringt durch die Wolken. Es weicht nicht, bis der Allerhöchste es angesehen hat.“ Das Gebet der Demütigen hat dir alle Zeit gefallen.“ Die Demut wird mit Recht ein Magnet genannt, der Gott und sein Erbarmen mit unwiderstehlicher Gewalt zu uns hinzieht. Der Zöllner demütigte sich in aufrichtigem Reueschmerz vor dem Herrn und bekannte sich als einen Sünder, der nicht wagen dürfe, die Augen zu Gott zu erheben. Und --- „er ging gerechtfertigt nach Hause.“ Der Schächer am Kreuz, der ein Leben voller Missetaten hinter sich hatte, sprach in aufrichtiger Demut: „Wir leiden mit Recht; denn wir empfangen den verdienten Lohn unserer Taten; dieser aber hat nichts Böses getan. … Herr, gedenke meiner, wenn du in dein Reich kommst!“ Und der sterbende Gottessohn verhieß ihm das Paradies. Ja, dem demütigen Menschen ist Gott. der Herr, immer nahe; nahe hienieden, solange derselbe durchs Tal der Tränen pilgert; nahe im Jenseits, indem Gott ihn dort zu sich nimmt und mit Ehre und Herrlichkeit krönt.
Voll der Gnade
Betrachten wir jetzt, geliebteste Zuhörer, den zweiten Gedanken: „Maria, die Demütigste auf Erden, war einst und ist jetzt im Himmel die Nächste bei Gott.“ Wenn die Demut zu Gott hinführt, dann folgt von selbst, dass der Mensch beim Allerhöchsten umso näherkommt, von Ihm umso inniger geliebt und mit Ihm um so enger verbunden wird, je tiefer er hienieden in der Demut gegründet ist.
Nun hat Maria in den Tagen ihres Erdenlebens alle Geschöpfe durch ihre Demut unermesslich weit übertroffen. Sie war die Größte von allen; die Größte, wenn wir hinblicken auf die makellose Reinheit ihrer Seele. Nicht ein Stäubchen. Nicht die geringste Unvollkommenheit, nicht der leiseste Hauch einer ungeordneten Regung hat je den reinen Spiegel ihrer Seele getrübt. So konnte der Heilige Geist in Wahrheit von ihr sagen: „Nulla macula est in te – kein Makel ist an dir“, (Cant. 4, 7) während es im Buch Job heißt: „Unter seinen Heiligen ist keiner wandellos, und die Himmel sind nicht rein vor seinen Augen.“ (Job 15, 15) – Sie war die Größte im Hinblick auf die Schätze der Gnade, welche sie in sich barg. Sie war voll der Gnade. (Lk. 1, 28) Sie besaß eine solche Fülle von Gnaden bereits im ersten Augenblick ihres Lebens, dass das Gnadenmaß aller Engel und Heiligen ihrer Gnadenfülle nicht gleichkam. Und diesen Schatz hat sie durch die treueste Mitwirkung unablässig vermehrt. Sie war endlich auch die Größte an Tugend und Verdienst. Denn sie übte alle Tugenden in einem so heldenmütigen, so vollkommenen Grad, dass ein Geschöpf bei gleicher Gnadenmaße sie gar nicht vollkommener üben konnte.
Hochpreiset meine Seele den Herrn
Bei diesen unvergleichlichen Vorzügen, wie Maria sie vor allen anderen Geschöpfen besaß, hat niemand so vollständig auf sich selbst vergessen, um Gott allein die ganze Ehre, den ganzen Ruhm zu geben; ist niemand so fern von aller Selbsterhebung gewesen, als die auserkorene Jungfrau. Obwohl ein Himmelsfürst ihr seine Verwunderung über ihre Gnadenschätze ausdrückte, nannte sie sich doch die Dienstmagd des Herrn, die in sich selbst gar nichts war und aus sich selbst gar nichts hatte. Sie führte alles in der selbstlosesten Weise auf Gott zurück. „Hochpreiset meine Seele den Herrn, … denn Großes hat an mir getan, Er, der da mächtig ist!“ (Lk 1, 46, 49). Und dieser Überzeugung entsprach auch die Tat. Sie verrichtete die geringsten und niedrigsten Dienste im Haus des Zacharias und der Elisabeth, ohne dass ihr jemals der Gedanke kam, als ob dieses zu ihrer Würde nicht passte. In der Welt lebte sie ungekannt und ungesehen. Niemals regte sich in ihr der Wunsch, dass die Welt sie auch nur eines Blickes würdigen möchte. Ich frage: „War eine solche Selbstlosigkeit, eine solche Demut bei einer solchen unübertroffenen Höhe nicht ein Schauspiel, das der ganze Himmel bestaunte?“
Quelle: Maria, der Christen Hort, Predigten zu den Muttergottesfesten von G. Diessel
- wird fortgesetzt