Betrachtungen in der Fastenzeit: Petrus, Teil 1

Detail aus dem Fastentuch Baldramsdorf, Kärnten
In Seinem Leiden hat Christus von den verschiedensten Menschen Leid erfahren. Fast alles hat dazu mitgeholfen, Ihm Schmerz zu bringen, sowohl die Hohen und die Ersten des Volkes: der König, der Landpfleger, die Hohepriester, die Ratsherren und Gesetzeslehrer, als das gemeine Volk, Soldaten und Schergen. Was Ihm aber am meisten weh tat, das war, wie ihr euch denken könnt, das tiefe Leid, welches Ihm von Seinen eigenen Jüngern bereitet wurde.
Wenn die, welche man am meisten liebt, auf deren Treue und Dankbarkeit man glaubt, zählen zu können, abfallen oder gemeinsame Sache machen mit den Feinden – das ist die bitterste unter den Bitterkeiten. Auch diese wurde dem Heiland in Seinem Leiden nicht erspart. Wir haben schon letzten Sonntag gesehen, was Ihm von Judas widerfahren ist. Aber dabei blieb es nicht. Judas war der letzte der Apostel, er war die schlechteste der Früchte vom Baume der Apostel. Aber siehe, nun sollte auch der an die Reihe kommen, der im Verzeichnis der Apostel immer als der erste aufgeführt wird, welcher der Fürst der Apostel, der Fels der Kirche genannt wird. Ihr erratet schon, dass ich von Petrus und seiner Verleugnung spreche.
Schon lange ist jener Hof des Hohepriesters zerfallen; schon lange ist jenes Feuer erloschen, bei dessen Schein Petrus seinen Herrn verleugnet hat — und dennoch stehen diese Menschen dort im Hofe des Kaiphas bei dem flackernden Feuer immer noch wie lebendig vor uns und vor der Christenheit und in ihrer Mitte der Apostel Petrus, wie er seinen Herrn und Meister verleugnet, ein warnendes Beispiel, wie selbst über die besten und edelsten Menschen eine Stunde der Schwäche kommen kann. Und doch, wie ist es bei Petrus schließlich so ganz anders gegangen als bei Judas! Dieses trostlose Scheitern wie bei Judas, diesen völligen Untergang haben wir bei Petrus nicht zu beklagen. Wohl war es auch bei ihm ein tiefer Fall, eine schwere Sünde; aber was darauf folgte, das war nicht ein Ende mit Schrecken, wie bei Judas, sondern ein Wiederaufstehen in der Gnade und Liebe. Wie viel erquickender und freudiger ist darum unsere heutige Fastenbetrachtung! Wohl enthält auch sie eine Warnung für uns, aber ebenso eine Tröstung. Beides lasst uns heute betrachten, sowohl wie schwer es angefangen, als wie glücklich es zuletzt ausgegangen! Ich rede im ersten Teil vom Fall des hl. Petrus, im zweiten Teil von seiner Bekehrung.
Vergegenwärtigen wir uns den Verlauf der Begebenheit! Der Tross der Kriegsknechte mit ihrem erhabenen Gefangenen, dem Sohne Gottes, war vom Ölberg im Palast des Hohepriesters angekommen. Petrus und Johannes folgten ihnen nach. Johannes war bekannt mit dem Hohepriester und durch ihn konnte Petrus in den inneren Hof hineinkommen. Siehe da den Petrus, ohnedies ängstlich und verwirrt, jetzt sozusagen mitten ins feindliche Lager versetzt, unter die Diener und Knechte des Hohepriesters. In welch gefährlicher Umgebung war der Apostel geraten! Unsichtbar schlich auch der Satan durch die Pforte des Hofes; beim Fürsten der Apostel will er heute gute Geschäfte machen, um ihn herumzuschütteln und zu sieben wie den Weizen.
Und beachtet nun, wie beim ersten Menschen im Paradies, so muss ihm auch beim ersten der Apostel eine Frau dafür dienen. Die Türhüterin kommt hinzu, sie schaut dem Apostel ins Gesicht und sagt: „Bist du auch einer aus den Jüngern dieses Menschen?" Petrus erschrickt innerlich und sagt: „Ich bin es nicht, ich kenne ihn nicht“ Wenige Worte, aber sie enthalten viel Böses! „Er kennt ihn nicht“, sagt er. Welche Lüge! Wie, Petrus, du kennst ihn nicht, mit dem du drei Jahre lang Tag für Tag umhergezogen bist? Du kennst ihn nicht, den du noch vor wenigen Tagen verklärt auf Tabor gesehen, für den du noch vor ein paar Stunden im Ölgarten das Schwert gezogen hast? Nun kräht der Hahn zum ersten Mal. Jetzt stand Petrus auf, er spürte die Gefahr und ging in den Hof hinaus zur Türe hin — da begegnet ihm eine andere Magd und sagt: „Der war auch bei ihnen“ Da leugnet Petrus zum zweiten Mal mit einem Schwur: „Ich bin es nicht; ich kenne den Menschen nicht“.
Seht, wie der zweite Fall schon ärger ist, als der erste! „Ich kenne den Menschen nicht,“ spricht er. Hört doch, „den Menschen“, sagt er, wie verächtlich redet er vom Heiland! Wie oft hatte er, auf die Knie gesunken, Jesus, Herr“ genannt; jetzt heißt es: „Ich kenne den Menschen nicht!“ Wie feierlich hatte er einst bekannt: „Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes“, jetzt: „Ich kenne den Menschen nicht!“ Und er schwört es, dass er Ihn nicht kenne, und er schwört einen rechten Meineid darauf. Aber weiter! Bald kehrt Petrus, nunmehr schon mit der Sünde einer zweimaligen Verleugnung belastet, in den inneren Hof zurück. Jetzt machte sich, etwa nach einer Stunde, ein anderer an ihn: „Sicher bist du einer von ihnen“, ein zweiter und dritter fügt hinzu: „Du bist ja ein Galiläer, deine Sprache verrät dich“. „Habe ich dich nicht im Garten gesehen?“ wirft ein anderer dazwischen. Petrus war in ein ganzes Kreuzfeuer von Fragen geraten. Nun verleugnet Ihn Petrus zum drittenmal: „Ich kenne diesen Menschen nicht“, und zu dem Schwur fügt er noch Verwünschungen hinzu gegen sich selbst, etwa: das und das soll mir geschehen, wenn ich ihn kenne. Nun kräht der Hahn zum zweitenmal. Wie schauerlich mag dieser Hahnenschrei durch die Morgenfrühe ertönt sein! Wie furchtbar war der Fürstapostel gefallen! Er fürchtet sich, Christus zu bekennen. Etwa vor Mächtigen und Angesehenen? Nein, vor der Türhüterin, vor Mägden, vor dem Hausgesinde des Hohepriesters! Die schwache Welle der Rede einer Frau schlägt an den Felsen und er wankt; ein einziges Lüftchen, sagt der hl. Augustinus, macht die Säule erzittern.
Es ist ja manches zu sagen zur Entschuldigung des hl. Petrus — er war abgehetzt und eingeschüchtert von allem, was er diesen Abend schon vorher erlebt hatte, aber dennoch beleidigte er durch seine Verleugnung seinen göttlichen Herrn und Meister schwer und fügte Ihm unerhörte Schmach zu. Wir sprechen jetzt mit Tadel und Entrüstung über den Fall des Petrus und zwar mit Recht; aber nun eine Frage an unser eigenes Herz: wären wir selbst an des Petrus Stelle standhafter gewesen als er? Wer könnte zu sagen wagen: „Ich hätte es gewiss nicht getan“? Vielleicht hast du schon geringere Proben deines christlichen Mutes nicht bestanden! Vielleicht hätte es sich schon darum gehandelt, wenn du an einem Kreuz vorbeigegangen bist, dein Haupt zu entblößen oder zu neigen; aber es war vielleicht ein Andersgläubiger bei dir und aus Furcht vor ihm hast du es nicht getan — als kenntest du den nicht, der am Kreuz hängt! Oder hast du das Kreuzeszeichen unterlassen oder am Freitag Fleisch mitgegessen, wie um zu zeigen: „Ich bin es nicht!“nämlich ein katholischer Christ? Oder saßest du in einer Gesellschaft von Religionsfeinden und Spöttern, wo über die Religion Christi losgezogen wurde, und hast du geschwiegen, gleich als ob du „den Menschen nicht kennest“, und damit es nicht heiße: „der ist auch einer von ihnen!“ Und wer ist denn jener dort, der da auf der Straße flieht und in ein Seitengässchen einbiegt, um nicht niederknien zu müssen, wenn das Allerheiligste Sakrament zu einem Kranken vorbeigetragen wird: scheint dir der nicht auch zu sagen: „Ich kenne den Menschen nicht!“
Fortsetzung folgt!
Quelle: Fastenpredigten von Paul Stiegele, Domkapitular, 1904