Betrachtungen in der Fastenzeit: Petrus, Teil 2

Gethsemane: Petrus schlägt dem Knecht des Hohenpriesters ein Ohr ab
Detail aus dem Fastentuch in der Kirche St. Stefan unter Feuersberg, Kärnten
Doch fragen wir weiter: woher kam denn die Verleugnung des Petrus; woher kommt auch jetzt noch der Fall so vieler Christen? Es sind vornehmlich zwei Ursachen: die Unterlassung des Gebetes und das Aufsuchen der bösen Gelegenheit. Wie dringend hatte der Heiland den Petrus zum Gebet gemahnt! „Wachet und betet“! Aber statt zu beten, hatte Petrus geschlafen. Seht, so geht es auch mit uns: Wenn wir nicht mehr beten, dann steht die Sünde vor der Tür!
Fällt der Thermometer, so ist das ein Zeichen, dass der Frost ins Land gekommen ist; ist in einer Seele der Gebetsgeist heruntergesunken bis auf den Nullpunkt, so ist das ein Zeichen, dass es Winter geworden ist in dieser Seele, wo alles, was einst blühte an Tugend, gefriert und in Erstarrung fällt. Ja, glaubt es mir, mit dem Aufhören des Gebetes, da zieht kalte Zeit ein in das Herz, so kalt wie jene Nacht, in der Petrus gefallen ist. Hast du dies nicht selbst schon erfahren bei anderen und vielleicht auch schon bei dir selbst? Und beginnt der Mensch wieder zu beten, da steigt die Hoffnung, da wehen wieder Frühlingslüfte und fängt es wieder an, zu knospen und zu keimen in der Seele. „Wachet und betet,“ einen besseren Rat kann man euch nicht geben; darüber sind alle einig, die drüben sind in der Ewigkeit. Fragt die in der Hölle: warum seid ihr hier? Sie werden sagen: weil wir nicht gebetet oder schlecht gebetet haben. Fragt die im Himmel: wie seid ihr hierhergekommen? Die Antwort ist: weil wir viel und gut gebetet haben.
Indessen, meine Christen, die Unterlassung des Gebetes war eine Ursache des Falles unseres Apostels, aber nicht die einzige. Die andere Ursache war, dass er die Gelegenheit und Gefahr der Sünde nicht gemieden hatte. Der Vorhof des Kaiphas war kein Platz für einen Apostel; die Knechte und Mägde waren keine Gesellschaft für ihn. Aber wie viele Seelen hat es auch nach der Zeit des hl. Petrus gegeben und gibt es bis heute, welche die Gelegenheit zur Sünde ruiniert hat! Wie viele, die rein und unschuldig hingingen, kamen zurück aus der Gelegenheit voll Aussatz, voll Sünde! Sind nicht die bösen Gelegenheiten Netzen gleich, die der Teufel allenthalben flicht und ausspannt in Städten und Dörfern und auf einsamen Gehöften draußen, und in Scharen fliegen die Seelen Vögeln gleich in die Maschen dieser Todesnetze? Im Eigendünkel und Selbstvertrauen gehen sie wie Petrus auf das Sieb des Satans und meinen, „es schadet mir nicht, ich darf es wagen“. Wie schlecht kennst du dich doch, wenn du meinst, du dürftest es wagen, du unvorsichtige Seele! Bald musst du es erfahren, wie durch die Gelegenheit die Versuchung in dich kommt und dich schüttelt wie den Weizen auf dem Sieb“. Die verlorene Unschuld, der zerstörte Seelenfriede, die brennende Fieberröte der Leidenschaft auf deinen Wangen und in deinem Herzen werden es dir bald genug sagen, wie teuer du dein Wagnis bezahlt hast!
Doch, man muss nicht bloß reden von Gelegenheiten, wo man die Herzensreinheit verliert; es gibt auch Gelegenheiten und Gesellschaften, wo man den Glauben verliert, und die sind noch gefährlicher. Insbesondere glaubenslosen Umgang pflegen, das heißt, sich eine tiefe Grube graben für seinen eigenen Glauben. Wie viele fallen heutzutage hinein! Warum kommt mancher junge Mensch von gewissen Schulen ganz anders heim, als ihn Vater und Mutter entlassen haben? Warum redet er über Religion, Priester, Kirche und Glauben in Ausdrücken, die einen schaudern machen? Fragt nicht lange, fragt nur nach der Gesellschaft, in die euer Kind geraten ist, und das traurige Rätsel ist gelöst! Dort ist ihm das Gift des Unglaubens Tropfen für Tropfen eingeträufelt worden, und das Gift beginnt eben jetzt zu wirken.
Aber ihr sollt nicht meinen, es sei bloß die Gesellschaft lebendiger Menschen, die den Glauben und die gute Sitte unterhöhlen; es gibt noch andere Gesellschaften gefährlichster Art, das sind die schlechten Bücher und Druckschriften. Wer sollte sie nicht fürchten diese anscheinend toten Buchstaben, die da zu tausend und tausend in einem schlechten Buch beisammen in Reih und Glied stehen wie ein Regiment! Es sind Soldtruppen, die im Dienst des Fürsten der Finsternis stehen, und sie speien den Tod aus in die Seelen! Schlechte Bücher und Druckwerke sind noch gefährlicher als schlechte Gesellschaften der Menschen. (Anm.: Um wieviel mehr gilt das heute für die digitalen Medien!)
Einen Menschen, der Schlechtes redet, hält doch schließlich ein Schamgefühl an und hält ihn zurück von dem Ärgsten; aber ein schlimmes Buch, das errötet nicht und es plaudert nichts davon aus, was es in langen Stunden heimlicher Zwiesprache mit dem Leser verhandelt hat, welch schändliche Gedanken und Gefühle es in sein Inneres hineingeworfen hat. Und eine andere Gesellschaft, die muss man bald wieder verlassen; das Buch aber bleibt da, jeden Augenblick kann man zu ihm zurückkehren. Oder eine schlechte Zeitung, die kommt ja alle Tage ins Haus und geht herum in der Stube und läßt sich nieder, mitten unter der Familie, wie ein Hausfreund, wie der beste Bekannte. Der jüngste Tag wird es offenbaren, was die böse Gelegenheit der schlechten Bücher und Zeitungen für ein Sterben anrichtet unter den Seelen, wie sie die Todespfeile unaufhörlich hineinschnellt bis in das Herz der Familien! Woher die oft grässlichen Anschauungen über Religion, woher bei Andersgläubigen die so schrecklichen Vorurteile gegen die von Christus gestiftete Kirche? Warum wirft so mancher Mann, wenn er einem katholischen Priester oder Ordensmann begegnet, einen Blick unsäglicher Verachtung auf ihn? Weil er ein Zerrbild des Priester- und Ordenslebens in sich trägt, das ihm seine Zeitung (Anm.: und heute das Fernsehen und das Internet!) so oftmals vorzeichnet. Und warum ist auch bei manchem katholischen Christen sein Glaube und seine katholische Gesinnung so welk und abgestanden wie ein krankes Pflänzchen? Das kommt häufig von seiner Zeitung her, die er liest. (Anm: vom Handy, vom Fernseher etc.)
Möchte bei allen, die es angeht, Gott Licht werden lassen im Innern! Und wenn dir all die bösen Gelegenheiten, von denen wir geredet, harmlos scheinen, möchte Gott dann nochmals auflodern lassen den Feuerschein jener Nacht, wo Petrus unter den Feinden Christi dasitzt und sich wärmt und dabei seinen göttlichen Herrn verleugnet! Ja, katholischer Christ, setze dich nur zu den Feinden Christi; wärme dich an ihrem Feuer; höre ihre gesprochenen und gedruckten Worte gegen Christus und sein Reich und die Sache wird da enden, wo Petrus geendet hat, mit einer nicht bloß dreimaligen, sondern vielmaligen Verleugnung Christi.
Wird fortgesetzt!
Quelle: Fastenpredigten von Paul Stiegele, Domkapitular, 1904