Betrachtungen in der Fastenzeit: Petrus, Teil 3

Quelle: Distrikt Österreich

Die schlafenden Jünger im Ölgarten - Detail aus einem Fastentuch in der Pfarrkirche Weißenstein, Kärnten

Doch, es ist jetzt genug geredet vom Fall und der Sünde des Petrus. Lasst uns noch einen freudigeren, versöhnenden Schluss anfügen, indem ich im zweiten Teil von der Bekehrung des hl. Apostels rede. Man sollte meinen, nachdem Petrus den Herrn verleugnet habe, werden sich die Strafgerichte Gottes über seinem Haupt entfesseln. Doch nein! Das hieße die Rechnung machen ohne das Herz Jesu. Vielmehr naht sich dem unglücklichen Apostel eine ganz andere rührende Gestalt — das ist die Barmherzigkeit Gottes. Das Evangelium sagt ebenso einfach als tief: „Der Herr wandte sich um und schaute Petrus an.“ (Lk 22,61) Was lag doch alles in diesem Blick! Der Heiland wollte wirklich etwas hineinlegen in diesen Blick, und was Er will, das kann Er. Wie sprechend, wie beredt war der Blick aus Seinem unergründlich tiefen Auge! Es war dieser Blick ein auserlesener Pfeil aus der Hand des Herrn, der tief eindrang. 

Aber, war das etwa ein Blick des Todes, wie ihn der erzürnte Richter einst den Verdammten zuwerfen wird, ein Blick, der das Innerste erstarren macht vor Furcht und Entsetzen?  Nein, es war ein Blick des Lebens und der Gnade. Gewiss lag in diesem Blick unsägliche Traurigkeit über die Untreue des Apostels und er musste den Petrus schmerzlich verwunden. Aber es lag in ihm wieder so viel Tröstendes, Heilendes und Ermunterndes; es war ein Blick, wie ihn eben nur Der tun konnte, der „das geknickte Rohr nicht brechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen will." (Mt 12,20) Was hat Petrus in einem Augenblick nicht alles gelesen in dem Blick seines Meisters? Vor allem die Größe seiner Sünde, die Tiefe des Abgrunds, in den er gefallen — und bittere Reue erfasste ihn. Aber Petrus las auch in diesem Blick die Verzeihung; er hat richtig gelesen im Auge seines Herrn, er fasst Vertrauen und sein Vertrauen wird nicht getäuscht! In seine von Schmerz aufgerissene Seele fallen mit diesem Blick Christi die Keime eines neuen Lebens — alles so ganz anders, als bei Judas, den alle Worte, Mahnungen, selbst Wunder nicht zu bekehren vermögen. Wie enthüllt sich aber hier, meine Christen, so herrlich die ganze Liebenswürdigkeit und Milde des Heilands! Selbst schon schwer leidend und ganz in die Hände Seiner Feinde gegeben, hat er doch noch einen Blick der Erbarmung für eine arme verirrte Seele! „Inmitten der Schmähungen der Hohepriester“ sagt der heilige Papst Leo,  „inmitten der Beschimpfungen der Ihn Schlagenden und Anspeienden sucht Er den verwirrten Jünger mit jenem Auge, mit dem er seine Verwirrung vorausgesehen hatte.“ 

Wie vielen Seelen hat sich seither dieser Blick des Heilands wieder zugekehrt! Wie viele gab es schon, müde gehetzt, niedergesunken in ihren Sünden und elend zu Boden liegend — aber siehe, ein Lichtstrahl aus dem Auge des Heilands hat sie getroffen, ein Blick voll Barmherzigkeit, und hat sie aufgerichtet. Wie wahr ist es, dass Gott, wie es in einem Kirchengebet heißt „Seine Allmacht hauptsächlich im Schonen und Verzeihen offenbart!“ Er könnte diese Seine gewaltige Macht zeigen im Strafen, im Niederschmettern, im Vernichten — aber lieber zeigt Er sie im Schonen und Verzeihen. Freuet euch, meine Christen, die Religion, die euch verkündet wird, sie ist eine Religion der Barmherzigkeit und der Verzeihung für jede Seele, die wahrhaft bereut! Sie ist ein süßer Sang; mögen die Sünden zahlreicher sein, als die Haare deines Hauptes (Ps 39,13) — Gott kann vermöge Seiner unendlichen Barmherzigkeit noch mehr Sünden verzeihen, als wir begehen können, so unermesslich ist Seine Barmherzigkeit. Die Sünden, so fest sie den Menschen umklammern wollen, Er kann sie weit von dir fortwerfen, „so weit“, heißt es in den Psalmen (102,12), „als das Morgenland vom Abendland entfernt ist.“ 

Wer von uns wollte nicht aufatmen bei dem Gedanken an diese wunderbare Barmherzigkeit, wer wollte nicht in der kommenden österlichen Zeit wieder schöpfen aus ihren Tiefen! Nur eines ist notwendig, dass wir wie Petrus mit der Gnade mitwirken. Was tut er? Er weint bitterlich. (Lk 22,62) Sehet da seine Reue, sehet den starken Mann, wie ihm Träne um Träne herabfließt und er fortweint die ganze Nacht! „Das sind gute Tränen,“ sagt der hl. Ambrosius, „sie waschen die Schuld ab.“

„Glückselige Tränen“ nennt der hl. Leo der Große“ diese Wasserflut der Augen, die gleich einer Taufe Vergebung gewirkt habe. „Und er ging hinaus“, heißt es von ihm (Lk 22,62); es leidet ihn nicht mehr im Hof des Kaiphas; er traut sich nicht mehr, er hat keinen Eigendünkel mehr, sondern er flieht die Gefahr und Gelegenheit. Nie mehr wird er dieses Haus betreten. Du siehst, das Weinen, die Reue allein tut es nicht; du musst die Gelegenheiten, die Personen verlassen. Was hilft es doch, wenn du hundertmal gerührt bist, wenn deine Augen voll stehen von Tränen der Reue, wenn du auch zehnmal die Worte der Absolution in deinen Ohren klingen hörst — was nützt dies, wenn du die freiwillige Gelegenheit nicht meidest? Darum hinaus! Du weißt schon, wo für dich der Hof des Kaiphas ist, wo die plaudernde Gesellschaft, wo für dich das Feuer ist, bei dem du deinen Heiland verleugnest. Hinaus aus dem Hof, weg von dem Feuer! Und endlich hat Petrus seine Sünde wieder gut gemacht, man kann sagen, großartig gut gemacht. Betrachtet ihn am ersten Pfingstfest, wie er dasteht vor den Tausenden, wie er seine Stimme erhebt, wie er mutig den Hohepriestern und dem Volk den Gottesmord vorhält, den sie an Jesus Christus begangen: „Den Heiligen und Gerechten habt ihr verleugnet,“ sagt er (Apg 3,14f), „den Urheber des Lebens habt ihr getötet.“ Klingt das nicht anders, als: „Ich kenne den Menschen nicht“? Und folgt dann dem Apostel mit euren Blicken, wie er hinzieht über Länder und Meere, um Christus vor den Menschen zu verkünden; folgt ihm nach Rom, wo er schließlich an einem Kreuz stirbt! Und wie hat er die Schlüssel des Himmels, die ihm der König der Herrlichkeit an seiner Statt übergeben, treu bewahrt bis zum Ende, bis er sie in die Hände seines Nachfolgers legte! Das heißt gut machen, das heißt Sühne leisten! Das war eine vollkommene Buße“, wie der hl. Chrysostomus von der Buße des Petrus sagt. Wie schön wäre auch bei uns eine Umkehr wie diese! Wie groß wäre das vor Gott! Welches Glück, wenn du nach dem Gnadenblick, den der Heiland z.B. in einer Beichte auf dich geworfen, ihm nie mehr den Rücken kehrtest, sondern deine Seele in Reue bewahrtest bis zum letzten Atemzug! 

Einst vor vielen Jahren stand ich an dem Sterbebett einer Person. Sie war schon bei jenen Augenblicken angekommen, wo die Seele nichts mehr wissen will von den Anliegen dieser Welt, sondern bereits hinüberschaut in die nahe Ewigkeit. Da sagte sie: „Gottlob, seit der Volksmission habe ich keine schwere Sünde mehr begangen." Und seit dieser Mission waren damals schon zwanzig Jahre verflossen. Ich frage nun: Wäre es nicht ein unermesslicher Trost für dich, wenn du vor deinem Abscheiden einmal sagen könntest: „Gottlob, seit der Osterbeichte 2025 habe ich keine Todsünde mehr begangen?“ Amen. 

Quelle: Fastenpredigten von Paul Stiegele, Domkapitular, 1904