Das Gedenken

Aus den Augen, aus dem Sinn. Mit der Zeit wird unser Name in Vergessenheit geraten. Ist es nicht eine Schwäche des Menschen, die nicht mehr zu kennen und zu vergessen, mit denen man gelebt hat?
Als Joseph, nachdem er von seinen Brüdern verkauft worden war, und nach
Ägypten gebracht, ungerechterweise mit dem Mundschenk und dem Koch des Pharaos ins Gefängnis geworfen worden war, deutete er seinen Gefährten die Träume, die sie hatten. Er bat den Mundschenk, sich seiner zu erinnern, wenn er wieder in sein Amt beim Pharao
eingesetzt war. Erst zwei Jahre nach seiner Befreiung erinnerte sich der Mundschenk
an Joseph, den er in seinem Gefängnis vergessen hatte. Geschieht es nicht auch uns, dass wir Angehörige und sehr liebe Freunde vergessen, die der Tod hinweggerafft hat? Geschieht es uns nicht, daß wir das Gute vergessen, das sie uns getan haben, den Wohlstand, den sie uns erworben haben, im Schweiße ihres Angesichts, die Dienste, die sie uns erwiesen haben?
Da wir zu sehr mit unseren Angelegenheiten und unserem diesseitigen Leben beschäftigt sind, vergessen wir darüber das jenseitige Leben und die, die uns verlassen haben, und kümmern uns nicht um ihr ewiges Glück. Glücklicherweise lädt uns die Kirche ein, uns an sie zu erinnern, und ermutigt uns, für sie zu beten. Als der arme Lazarus an der Türe des Reichen lag, hätte er sich gerne mit dem gesättigt, was vom Tisch des Reichen fiel, aber der Reiche kümmerte sich nicht darum.
Denken wir daran, dass einige unserer verstorbenen Angehörigen und Freunde auf einige Krümelchen des Gebets und der Liebeswerke für sie warten, um ihnen zu helfen, aus dem Läuterungsgefängnis herauszukommen. Für das Gute, das sie uns getan oder hinterlassen haben, könnten wir ihnen einige Krümelchen davon verweigern, die davon aufgehoben werden, um ihren Hunger nach Gott und dem Himmel zu besänftigen und ihnen erlauben würden, schneller dahin zu kommen? „Selbst wenn eine Mutter ihr Kind vergäße, Ich werde es niemals vergessen,“ so spricht Gott (Is 49,15), und Jesus sagt uns: «Seid vollkommen, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist» (Mt 5,48).
Gebet
« Selbst wenn eine Frau ihr Kind vergäße, Du, o Herr, vergisst mich nie»; Du hast mich «eingeschrieben in Deine Hand». Du hast mich «erschaffen nach deinem Bild und Gleichnis» und Du willst, dass ich «vollkommen bin, wie Du vollkommen bist». Ich bitte Dich um Verzeihung für das Vergessen meiner Brüder im Leiden, für meine Gleichgültigkeit wegen meiner irdischen Beschäftigungen, für meine persönlichen Sorgen, die mich die anderen vergessen lassen, die viel mehr als ich leiden. Hilf mir, dass ich mich an alle erinnere, die zu meinem Weg zu Dir in diesem irdischen Leben beigetragen haben, an die, die mir Liebe gegeben haben und Zeit, an die, die sich um mein Bestes gekümmert haben. Herr, mögen die Seelen der verstorbenen Gläubigen durch Deine Barmherzigkeit ruhen in Frieden.
Quelle: Mit freundlicher Genehmigung des Parvis-Verlages aus dem Buch "Arme-Seelenmonat" von J.-M. Girardin