Der heilige Volkspapst Pius X.
In diesem Jahr sind 110 Jahre seit dem Todestag von Papst Pius X. und 70 Jahre seit seiner Heiligsprechung vergangen.
Es war am 2. Juni 1835, als im norditalienischen Dorf Riese, das damals noch zur italienischen Monarchie gehörte, den zwei einfachen, bäuerlichen Handwerksleuten Sarto ein kleiner Josef geboren wurde. „Beppo“ nannten ihn die Leute von Riese, was auf Deutsch so viel wie „Seppi“ heißt, und sie konnten natürlich nicht ahnen, dass der arme Beppo einmal als Pius X. den päpstlichen Thron besteigen würde. Er schien wirklich nicht für Höheres geboren und die göttliche Vorsehung musste immer wieder und recht augenscheinlich eingreifen, um den Beppo von Riese nach Rom zu bringen.
Ein gutes Herz, ein frommes Gemüt und ein helles Köpfchen hatte das Büblein schon von klein auf. Das war aber auch alles. Im Übrigen musste er schon als junger Gymnasiast erfahren, wie Armut schmerzen kann, und blieb deshalb zeitlebens ein wahrer Freund der Armen. Oft kutschierte er im Eselswägelchen zu der, eine Stunde entfernten, Schule oder ging barfuß, die Schuhe auf der Achsel, über die staubige Landstraße. Denn die Schuhe waren teuer, so wollte er sie schonen, so gut es ging.
Geistliche Laufbahn
Schließlich erreichte er aber doch sein Ziel und wurde 1858 zum Priester geweiht. Nur die Sorge um die Seelen und nichts anderes hatte ihn diesen Beruf ergreifen lassen. Jeder Gedanke an eine glänzende Laufbahn und hohe Würden lag Josef Sarto vollständig fern. Einzig und allein das Reich Gottes suchte er, und siehe da, das andere wurde ihm hinzugegeben. Schon nach einigen Jahren Kaplanszeit wurde er Erzpriester und Pfarrer von Salzano, mit 40 Jahren Domherr von Treviso, dann bischöflicher Kanzler, Spiritual am Priesterseminar, Generalvikar, Bischof von Mantua, Patriarch von Venedig, Kardinal und schließlich 1903 Oberhaupt der Kirche.
Seine elfjährige Regierungszeit als Papst (1903 – 1914), die er unter den Wahlspruch: „Alles in Christus erneuern“ stellte, ist als eine der bedeutendsten und segensreichsten in die Geschichte der Kirche eingegangen. Es ist hier nicht der Platz, all seine Taten kraftvoller Verteidigung kirchlicher Belange und all seine mannigfaltigen und mit Erfolg gekrönten Werke religiöser Erneuerung anzuführen, geschweige denn zu behandeln. Nur auf eines sei besonders hingewiesen.
Freund der Kinder
Papst Pius X. hat die Sonne der heiligsten Eucharistie, die durch den Irrglauben des Jansenismus und seine Ausströmungen auf weite katholische Kreise getrübt war, wieder hell und wahr am Himmel der Kirche erstrahlen lassen. Die zwei weltverwandelnden Rundschreiben von 1905 und 1910 über die öftere Kommunion und die Frühkommunion der Kinder haben ihm mit Recht den Titel des „eucharistischen Papstes“ eingebracht.
Als großer Freund der Kinder wollte er diese schon möglichst früh an der Kommunionsbank sehen. Eines Tages wurde eine Frau aus England von Papst Pius X. in Audienz empfangen. Sie hatte ihr vierjähriges Söhnchen bei sich. Am Schluss der Audienz legte das Büblein seine Hände auf die Knie des Papstes und sah ihm treuherzig ins Gesicht. „Wie alt ist er?“ fragte der Stellvertreter Christi und streichelte das Köpfchen des Kleinen. „Vier Jahre“, antwortete die Mutter, „und ich hoffe, dass er in zwei oder drei Jahren zur ersten Kommunion gehen darf.“ Ernst schaute der Papst in die klaren Augen des Kindes. Dann fragte er: „Wen empfängst du in der Heiligen Kommunion?“ – „Jesus Christus!“ lautete die schnelle Antwort des Kleinen. „Und wer ist Jesus Christus?“ – Jesus Christus ist Gott!“ erwiderte der Knirps. „Bringen Sie ihn morgen früh“, wandte sich der Papst an die Mutter, „ich will ihm selbst die Heilige Kommunion reichen.“
Ein armer Landpfarrer
Groß und bezaubernd waren die persönlichen Eigenschaften dieses Volkspapstes, seine Liebe und Güte, seine Hilfsbereitschaft, sein Seeleneifer, seine Demut, Schlichtheit und Anspruchslosigkeit und sein goldener Humor. Zahllose Geschichten wurden davon erzählt.
Schon als Kaplan und Pfarrer trug er seine Uhr ins Leihhaus, wenn er helfen sollte und nichts mehr hatte. Er lehrte die Kinder lesen, schreiben und singen, erzählte ihnen Geschichten, um sie von der Straße und vom Verderben fernzuhalten. Für den alten Mesner läutete er in der Früh die Glocke, damit dieser länger schlafen konnte, und er half ihm auch aus, wenn dieser gerade viel Arbeit auf dem Felde hatte. Bis zum letzten Augenblick blieb er der Pfarrer und Seelsorger. „Ich bin nur ein armer Landpfarrer“, sagte er als Bischof zu seinen Seminaristen. Und bald nach seiner Papstkrönung begann er, Zehntausenden von Römern, Kindern und Eltern, im Pinienhof des Vatikans sonntags Christenlehre zu erteilen.
Es brauchte langen Zuredens, bis er als Papst sein Brustkreuz aus Messing mit einem goldenen vertauschte. Seine alte Nickeluhr ließ er sich um eine bessere vertauschen. Es wurde ihm auch sehr schwer, sich in das genau festgelegte Zeremoniell des päpstlichen Hofes hineinzufinden. Bischof Dr. Sigismund Waitz erzählte gern folgendes Geschichtchen: Als er das erste Mal einen Tiroler Pilgerzug nach Rom führte und dieser vom Papst empfangen wurde, bat Pius X. einen Tiroler, einen schneidigen Jodler zu singen, was der Tiroler zur großen Freude des Heiligen Vaters auch tat. Bei späteren Pilgerzügen aber sagte der Papst nichts dergleichen mehr. Es musste ihm wohl von seiner Umgebung beigebracht worden sein, dass so etwas bei einer Audienz nicht üblich sei.
Überzeugende Demut
Als Bischof hatte Josef Sarto in dem religiös heruntergekommenen Mantua anfangs viele Gegner. Seine Liebe und Güte entwaffnete sie der Reihe nach. Ein Freimaurer wies Priester und Sakramente zurück, als er auf dem Sterbebett lag. Bischof Sarto schickte ihm ein paar Zeilen: „Nur Ihr Freund Sarto will sie besuchen!“ Von dieser Demut und Herablassung des Bischofs gerührt, ging der Sterbende in sich und empfing reumütig die Heiligen Sakramente.
Ein Kaufmann in Mantua hatte eine Schmähschrift gegen den Bischof verfasst. Josef Sarto aber wollte nicht, dass der Mann bestraft würde. „Der unglückliche Mensch“, sagte er, „braucht das Gebet notwendiger als die Strafe.“ Als dieser Kaufmann bald darauf vor dem Bankrott stand und noch dazu des Betruges angeklagt werden sollte, war es Bischof Sarto, der ihm heimlich das Geld zur Rettung schickte.
Als Bischof von Mantua musste er auch einmal nach Rom fahren. Wie er in der Sakristei der Peterskirche weilte, bemerkte er einen jungen Priester, der gerade die Feier der Heiligen Messe beginnen wollte, aber keinen Ministranten hatte. Da trug sich Bischof Sarto selbst als Messdiener an. Aus Ehrfurcht vor dem Kirchenfürsten war der junge Priester ganz verlegen und wollte das Anerbieten nicht annehmen. Der Bischof aber nahm das Messbuch und sagte: „Nur keine Angst, ich kann schon ministrieren. Gehen wir zum Altar!“
Freund der Armen
Eines Tages, als er schon Bischof war, bemerkte seine Schwester, die ihm den Haushalt führte, dass der Fleischtopf vom Herd verschwunden war. Also musste ihn jemand gestohlen haben. Aufgeregt lief sie zum Bruder und schimpfte wie ein Rohrspatz über den Gauner und Dieb, der das Fleisch vom Herd gestohlen habe. „Könnte das nicht die Katze gewesen sein?“ fragte lächelnd der Bischof. „Was die Katze? Wo ist denn dann der Topf? Der ist ja auch weg. Den wird die Katze doch nicht gefressen haben!“ Da musste der Bischof gestehen, er selbst sei die Katze gewesen. Und er fügte hinzu: „Was sollte ich machen? Ein armer Mann kam und bat um kräftige Nahrung für seine kranke Frau. Da habe ich ihm den Fleischtopf vom Herd gegeben.“
Mit rührender, kindlicher Liebe hing er zeitlebens an seinem einfachen Mütterlein, das so manche Nacht für die Leute von Riese genäht hatte, um ihrem studierenden Sohn ein paar Lire geben zu können. Sie lebte noch bei seiner Ernennung zum Kardinal. Er überredete sie, mit ihm nach Rom zu kommen, wo er den roten Hut empfangen sollte. Die alte Frau hatte bisher immer nur ein bäuerliches Kopftuch getragen. Zu dem großen Ehrentag ihres Sohnes und in der Befürchtung, ihm als einfaches Landweiblein durch ihr Erscheinen Unehre zu machen, hatte sie sich einen städtischen Hut ausgeliehen. Als der Kardinal sein Mütterchen in dem ungewohnten Kopfputz sah, ahnte er mit seinem Kindesgefühl gleich die mütterliche Sorge, er könnte sich sonst am Ende ihrer schämen. Da bat er sie: „Mütterchen, der Hut muss weg! Nehmt Euer Kopftuch wieder, ich bitte Euch darum, Ihr seid mir so viel lieber!“ Und er gab nicht nach, bis die Mutter unter all den vornehmen Damen und Herren wieder ihr bäuerliches Kopftuch hatte.
Als Kardinal Sarto, damals Patriarch von Venedig, nach dem Tode des Papstes Leo XIII. zur Papstwahl nach Rom fuhr, erklärte ihm eine Dame, sie habe viel gebetet, dass der Heilige Geist die Kardinäle bestimmen möge, ihm ihre Stimme zu geben. Dazu sagte Kardinal Sarto nur: „Da haben Sie eine sehr schlechte Meinung vom Heiligen Geist.“ Übrigens löste er sich bei dieser Romreise eine Rückfahrkarte, weil sich der Preis dadurch um einige Lire verbilligte. Denn trotz der reichen Einkünfte blieb er auch als Patriarch von Venedig für sich persönlich blutarm, weil er alles verschenkte. Bei seiner Demut wäre es ihm nicht im Traum eingefallen, dass er vielleicht keine Rückfahrkarte mehr brauchen könnte. Tatsächlich fuhr er nicht mehr zurück, sondern blieb als Papst in Rom.
In Venedig versetzte er sogar einmal seinen Bischofsring, um zu Geld zu kommen. Er würde, wenn er könnte, den ganzen Vatikan verschenken, sagte man von ihm, als er schon Papst geworden war. Kein Wunder, dass die Leute ihn als einen Heiligen verehrten und auch von wunderbaren Dingen im Zusammenhang mit Pius X. zu erzählen wussten. Als er davon hörte, bemerkte er scherzend zu einem Bischof: „Jetzt drucken sie gar schon, dass ich anfange, Wunder zu wirken. Als ob ich sonst nichts zu tun hätte!“.
Der Kriegsausbruch brach sein Herz
Als im Sommer 1914 Millionen von Herzen zerbrachen, getroffen vom tödlichen Blei oder von der furchtbaren Nachricht, dass ihr Vater, ihr Mann, ihr Sohn gefallen sei, brach auch das Herz dieses Papstes, der immer auf der Seite des gewöhnlichen Volkes, der Leidenden und Armen gestanden war und bis zuletzt versucht hatte, den Krieg zu verhindern. Am 20. August 1914 starb er mit dem Wunsch, dass sein Tod der Welt den Frieden erkaufen möge. In seinem Testament standen die Worte: „Arm bin ich geboren, arm habe ich gelebt und arm will ich sterben.“ Nur zwei Lire fand man noch in seiner Brieftasche.
Obwohl die Nachrichten von seinem Tod und den Begräbnisfeierlichkeiten untergingen in den aufregenden Meldungen über blutige Völkerschlachten, hat die Welt, besonders aber das Volk von Rom, das ein feines Gespür für echte Heiligkeit hat, diesen edlen, gütigen, heiligen Volkspapst nicht vergessen. Sein Grab in der Gruft von St. Peter fand man all die Jahre her zu keiner Stunde des Tages ohne fromme Beter, frische Blumen und brennende Kerzen.
Am 3. Juni 1951 wurde Pius X. im Beisein vieler Pilger aus aller Welt seliggesprochen. Und es wird vermutlich nicht allzu lange dauern, bis er feierlich in die Zahl der Heiligen aufgenommen wird.
Anm: Dieser Text stammt aus „Reimmichls Volkskalender" aus dem Jahr 1952. Es dauerte nur knapp zwei Jahre bis zur Heiligsprechung dieses großen Papstes: Sie erfolgte am 29. Mai 1954.
Den Festtag des Patrons der Priesterbruderschaft St. Pius X. feiern wir am 3. September.