Ein Lehrstuhl der Demut - Predigt des ehrwürdigen Dieners Gottes Franz Joseph Rudigier, Teil 4

Krippe in der Michaelerkirche Wien
PREDIGT AUF DAS HOHE WEIHNACHTSFEST - TEIL 4
Belohnt aber sehen wir die Demut auch in den Hirten, welche wir ebenfalls um die Krippe erblicken. Diese Hirten waren fromme, demutsvolle Seelen; sie lebten in ganz gewöhnlichem, beschwerlichem Stande, sie waren aber dabei zufrieden und beneideten nicht die Hohen, sie waren demütig. Und wie sehr belohnte Gott ihre Demut! Sie waren die Glückseligen, denen Gott zuerst die Geburt Seines eingeborenen Sohnes verkünden ließ.
Da sie die Nachtwache bei ihren Herden hielten, da stand plötzlich ein Engel des Herrn vor Ihnen, und die Klarheit Gottes umleuchtete sie und sie fürchteten sich sehr. Der Engel aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht; denn sehet, ich verkünde euch eine große Freude, die alles Volk haben wird; denn heute ist der Heiland geboren worden, Christus der Herr, in der Stadt Davids. Und plötzlich erschien eine Menge himmlischer Heerscharen, alle lobten Gott und sangen „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden den Menschen, die eines guten Willens sind.“ Und als die Engel von ihnen in den Himmel fuhren, sprachen die Hirten zueinander: „Gehen wir hinüber nach Bethlehem, und sehen wir, was sich zugetragen, und was der Herr uns gezeigt hat“. Und sie kamen eilig hin und fanden Maria und Josef, und das Kind in der Krippe. Und als sie es sahen, so erkannten sie das Wort, das zu ihnen von diesem Kind war gesagt worden … Und die Hirten kehrten zurück, und lobten Gott in allem, was sie gehört und gesehen hatten.
So der Evangelist Lukas (2,8-20). So waren also die demütigen Hirten diejenigen, denen diese erfreuliche Botschaft zuerst verkündet, und zwar mit himmlischer Feierlichkeit verkündet wurde; fern blieb diese Gnade von dem stolzen Herodes, fern von den hochmütigen Bewohnern Jerusalems. Und die Hirten, die demütigen, erhielten auch die Gnade, der Verkündigung zu glauben. Auch andere hörten durch die Aussage der Hirten von diesen Wunderereignissen; von ihnen steht aber nur geschrieben: „Sie wunderten sich.“ (Lk 2,18) Die Hirten aber glaubten, und das ist viel mehr, das ist das Rechte, Diese Wirkung, diese höhere Erkenntnis und diesen Glauben schreibt auch Jesus der heiligen Demut zu; so heißt es, Er habe einmal im Geiste frohlocket und ausgerufen: „Ich preise Dich, o Vater, Herr des Himmels und der Erde, dass Du dieses vor den Weisen und Klugen verborgen hast, und es geoffenbart hast den Kleinen (d. i. den Demütigen). Ja, Vater, so war es wohlgefällig vor Dir.“ (Lk. 10, 21) Diese Erkenntnis und dieser Glaube blieben bei ihnen nicht tot; sie erhielten auch die Gnade, nach diesem Erkennen und Glauben zu handeln. Sie gingen ungesäumt hin nach Bethlehem, und waren nach Josef und Maria die ersten, welche dem Neugeborenen ihre Anbetung darbrachten, sich vor der Krippe niederwarfen, und mit heiligster Freude und innigstem Dank das holdselige Kind betrachteten. Ja, an den demütigen Hirten hat sich bewährt, was die Schrift sagt: „Gott gibt den Demütigen Gnade.“ (Jak 4, 6) Reichliche Gnade für Verstand und Herz hat er ihnen ja gegeben.
Meine Christen! Auch wir alle bedürfen ja dieser Gnade von Gott so notwendig. Sollte der Anblick dieser Hirten, welche durch ihre Demut so reichliche Gnade zum Lohn erhielten, uns nicht ermuntern, gleich ihnen demütig zu sein? Den Stolzen widersteht Gott, den Demütigen gibt er Seine Gnade. (1 Petr 5,5)
Vergessen wir also diese wichtige Lehre nicht, die uns das hohe Weihnachtsfest so eindringlich ans Herz legt: O Christ! Sei demütig von ganzem Herzen; denn siehe der Heiland, der Herr des Himmels und der Erde hat sich so gedemütigt, dass Er die menschliche Natur angenommen hat. Und warum? Uns armen, sündhaften Menschen zuliebe, damit wir von unseren Sünden befreit, von der ewigen Verdammnis erlöst werden. Können wir da noch stolz sein, hochmütig unser Haupt erheben? Nein, gewiss nicht, sondern voll der Demut müssen wir ausrufen; O Herr! Wir sind nicht würdig solcher Liebe, die sich so gedemütigt. Welch großen Lohn erhält der Demütige auch! Die wahrhaft Demütigen waren es, die zuerst den Heiland sahen, Ihn anbeten konnten; die Stolzen aber waren dieser großen Gnade ganz und gar unwürdig. Prägen wir uns diese so lehrreichen Wahrheiten tief in unser Herz, dass wir sie nie vergessen, stets danach handeln; dann, ja dann werden wir einmal eine immerwährende, überaus glückselige Weihnachtsfeier im Himmel feiern, die uns Gott durch Seine Gnade geben möge. Amen!