Maria Theresia - Liebevolle Mutter und gute Erzieherin

Von Kaiserin Maria Theresia 1776 gestifteter Ornat, Minoritenkirche Wien
Brief einer liebenden Mutter an ihren Sohn der sich auf Abwegen befindet
Am 29. November ist der 244. Todestag von Kaiserin Maria Theresia von Österreich. Sie war Mutter von 16 Kindern. Lesen Sie folgenden hochinteressanten Brief der Kaiserin an Ihren Sohn Joseph II. aus dem Jahr 1766.
Brief von Kaiserin Maria Theresia an ihren 25-jährigen ältesten Sohn Joseph II.
Mein lieber Herr Sohn, [...]
ich fürchte sehr, daß Sie, da Sie im Allgemeinen eine sehr schlechte Meinung von der Welt haben, noch die kleine Zahl von Ehrenmännern verlieren, indem Sie sie mit zu den andern rechnen und mit ihnen verwechseln. Das ist ein sehr wesentlicher Punkt, denn der Wohlmeinende läßt sich nicht beargwöhnen noch mit den andern verwechseln, und er wird sich, wenn er kann, eher ganz zurückziehen oder mit weniger Eifer dienen. Die entscheidende Triebfeder ist das Vertrauen, wo das fehlt, fehlt alles. [...]
Ich muß Ihnen gestehen, das ist genau das Gegenteil dessen, was ich mein Leben lang getan habe. Ich habe immer lieber durch gute Worte die Leute zu veranlassen gesucht, meinen Willen zu tun, sie mehr überzeugen wollen als zwingen. Und ich bin gut damit gefahren. Ich wünsche Ihnen nur, daß Sie ebensoviel Hilfe bei Ihren Staaten und bei den Menschen finden werden, wie ich gefunden habe. [...] Wie sehr fürchte ich, daß Sie nie Freunde finden werden, und wer soll Joseph zugetan sein, worauf Sie doch so viel Wert legen, - weder vom Kaiser noch vom Mitregenten gehen ja diese bissigen, spöttischen und bösen Züge aus, sondern vom Herzen Josephs - , und das ist es, was mich beunruhigt, und was auch das Unglück Ihres Lebens sein, und unser aller und der Monarchie Unglück nach sich ziehen wird.
Ich werde nicht mehr sein, aber ich hoffte nach meinem Tod in Ihrem Herzen weiter zu leben, so daß Ihre zahlreiche Familie, Ihre Staaten nichts durch meinen Heimgang verlieren würden, sondern im Gegenteil gewinnen. Kann ich darauf hoffen, wenn Sie sich bis zu solchem Ton gehen lassen, der alle Zärtlichkeit und Freundschaft verbannt? Der Ruhm solcher Nachahmung ist keine Schmeichelei; hat dieser Held, der so viel von sich reden gemacht hat, dieser Eroberer, einen einzigen Freund? Muß er nicht aller Welt mißtrauen? Was für ein Leben ist das noch, wenn die Menschlichkeit daraus verbannt ist? Die Hauptgrundlage unserer Religion ist die Nächstenliebe, sie ist nicht nur ein Rat, sondern eine Vorschrift; glauben Sie etwa, sie auszuüben, wenn Sie die Menschen durch Ironie betrüben und verwirren, selbst solche die große Dienste geleistet haben? Diese Menschen haben ihre Schwächen, wie jeder von uns, das schadet weder dem Staat noch uns, höchstens ihnen selbst, und auch in diesem Fall haben sie nur ihre Pflicht getan, indem sie diese Unzuträglichkeiten darstellten und einen Mittelweg zu finden suchten, um das, was vergangen ist, und das, was man jetzt will, zu vereinen. Wenn man nur Unannehmlichkeiten zu erwarten hat, und die Vorstellungen so aufgenommen werden, wer möchte da wohl ein anderes Mal wiederkommen? Wer möchte sich bloßstellen, ohne daß es die harte Notwendigkeit gebietet, wenn man so aufgenommen wird? Sie mögen noch so viel Talente haben, unmöglich können Sie genug Erfahrung besitzen und alle Umstände der Vergangenheit und der Gegenwart so beherrschen, daß Sie allein fertig werden können. Ein Ja oder Nein, eine glatte Ablehnung wäre besser gewesen als dieses ganze Aufgebot von Ironie, wodurch Sie Ihr Herz erleichterten, und das Sie Genugtuung darin finden ließ, die Gewandtheit des Ausdrucks zu bewundern. Hüten Sie sich wohl davor, an Bosheiten Gefallen zu finden! Ihr Herz ist noch nicht schlecht, aber es wird es werden!
Es ist höchste Zeit, daß Sie aufhören, Geschmack zu finden an all diesen Witzworten, diesen geistreichen Wendungen, die nur den Zweck haben, andere zu betrüben und lächerlich zu machen, alle herrlichen Menschen fern zu halten und den Glauben zu erwecken, daß das ganze Menschengeschlecht nicht verdient geachtet und geliebt zu werden, da man ja durch sein eigenes Betragen alles Gute entfernt hat und das Tor nun den Betrügern vorbehalten und geöffnet hat, den Nachahmern und Schmeichlern Ihrer Talente. Ein Beispiel dafür sind die Sinzendorfs. Man kann ihnen Geist, Talente und Vorzüge nicht absprechen, aber niemand kann es mit ihnen aushalten. Schlechte Verwandte, schlechte Untertanen, die zu keinem Geschäft taugen, weder zum Krieg noch zur Politik. Bei einem Fürsten wäre das Übel noch viel größer, es wäre das Unglück seiner selbst und all seiner Untertanen.
Nach dieser langen Predigt, die sie meinem für Sie und meine Länder zu zärtlichen Herzen verzeihen mögen, will ich all Ihre Gaben und Vorzüge in einen Vergleich ziehen. Sie sind eine Kokette des Geistes; Sie jagen ihm nach ohne Sinn und Verstand, wo immer Sie ihn zu finden glauben. Ein Scherzwort, eine Redewendung, die Sie in einem Buch oder bei irgend jemand finden, beschäftigt Sie, Sie wenden sie bei erster Gelegenheit an ohne viel zu überlegen, ob sie auch passt [...].
Indem ich dieses Schreiben beschließe, nehme ich Sie beim Kopf und küsse Sie zärtlich und wünsche, dass Sie mir den Verdruß dieser Strafpredigt verzeihen, wenn Sie bedenken, aus welchem Grund sie entspringt.
Ich wünsche ja nur, Sie von jedermann geachtet und geliebt zu sehen, wie Sie es verdienen, und dass Sie glauben, dass ich stets bin Ihre gute alte treue
Mama.
Wien 1766
Quelle: Evelyn M. Sammer, Herzliche Mutterliebe - strenge Staatsräson, Diplomarbeit, Graz 2021