Sie haben die Kirche gesehen

PILGERFAHRT NACH ROM - FÜR ALLE (Teil 2)
Vor ziemlich genau einem Monat, am 24. Dezember, hat das Heilige Jahr 2025 begonnen. Jedes Heilige Jahr stellt eine außerordentliche Gnade für jeden Katholiken dar, sein Ziel muss die Heiligkeit sein, zu der uns Gott berufen hat - um dieses Ziel sollte er in diesem Gnadenjahr mehr ringen als sonst. Lesen wir in diesem Bericht über das Heilige Jahr 1950 wie tief der Glaube der Menschen damals noch war: ein gewaltiger Sturm der Begeisterung brach los, ein wahres religiöses Erwachen ging durch die ganze katholische Welt. Welches Beispiel könnte das für uns heute sein!
Heiliges Jahr 1950
Als man in Rom das Heilige Jahr vorbereitete und der Papst es zu Weihnachten 1949 feierlich eröffnete, gab es verschiedene Dinge, die etwas bedenklich stimmten und den ungeheuren Erfolg, den es tatsächlich zeitigte, nicht erwarten ließen. Die wirtschaftliche Lage der Nachkriegszeit war in verschiedenen Ländern schwierig und besorgniserregend und brachte große Devisenschwierigkeiten mit sich.
In politischer Hinsicht schien die Lage gespannt und führte im Juni 1950 zum Ausbruch des Koreakrieges. Der Heilige Vater Pius XII. befand sich infolge seiner ungeheuren Arbeitslast gesundheitlich nicht ganz auf der Höhe, so dass er nach Eröffnung der Heiligen Pforte den Ausspruch getan haben soll, er habe das Jubiläumsjahr zwar eröffnet, zweifle aber, ob er es auch selbst beschließen könne.
Aber trotz all dieser Schwierigkeiten wurde das Heilige Jahr 1950 zu einem Ereignis, wie es die Geschichte der Kirche noch nicht gesehen hat. Ein gewaltiger Sturm der Begeisterung, ein wahres religiöses Erwachen ging durch die ganze katholische und auch einen Teil der nichtkatholischen Welt. Freudig wurde die Einladung des Vaters der Christenheit zum Besuch der heiligen Stätten, zu Gebet und Buße und Pilgerfahrt aufgenommen. Mit Flugzeug, Schiff und Eisenbahn, mit Privatautos und Reiseautobussen, mit Fahrrad, Motorrad und Motorroller, zu Pferd und sogar auf Rollschuhen kamen die Gläubigen nach Rom. Hunderte von Ruderbooten sah man täglich am Tiber vertäut liegen. Einige Tausende Wallfahrer, besonders Deutsche und Österreicher, gelangten auf Schusters Rappen an ihr Ziel.
Und es war bei den meisten wirklich keine Vergnügungsfahrt, sondern ein Weg zur Buße. Bauern der Albanerberge hatten sich mit schweren Ketten beladen oder trugen ein großes Kreuz auf den Schultern. Ein österreichischer Kriegsversehrter, dem beide Beine fehlten, legte die weite Strecke in einem Wägelchen mit Handkurbelantrieb zurück, wobei ihm zwei Hunde über den steilen Brennerpass halfen. Ein von Geburt an Blinder aus Bayern machte den Weg über die Alpen nach der Ewigen Stadt nur von einem Polizeihund begleitet. Aus Frankreich traf ein Sonderzug mit unheilbaren Kranken und Schwerinvaliden ein, die in der Peterskirche auf Kissen gebettet wurden, so dass sich die Apsis der Basilika in einen großen Spitalssaal verwandelte. Es mutete an, als ob eine Szene aus dem Evangelium neu erstünde, als der Stellvertreter Christi durch die Reihen der Kranken schritt und sich liebevoll zu ihnen niederbeugte. Ein Gelähmter legte den Weg von Paris nach Rom im Rollstuhl zurück. Eine Gruppe spanischer Hochschüler ruderte in Booten von Palma de Mallorca bis Ostia, dem Hafen Roms, das sind 500 Seemeilen.
Aus allen fünf Erdteilen strömten Pilger herbei, Menschen aller Farben, Sprachen und Rassen. Einzelnen war es sogar geglückt, durch den Eisernen Vorhang durchzuschlüpfen. Als ein Photograph eine Gruppe dieser Tapferen aufnehmen wollte, wehrten sie ab, denn sie waren ja nur im Geheimen nach Rom, ans Herz der Weltkirche, gekommen.
Die verschiedensten Volkstrachten sah man da, die vornehme Inderin in ihren wallenden Gewändern und mit den goldenen Armspangen neben Südtiroler Bauersleuten in Sarner- und Burggrästlertracht. Alle Berufe waren unter den Pilgern vertreten vom Ministerpräsidenten bis zum Bauernknecht, von der Kaiserin und dem Filmstar bis zum Dienstmädchen.
Der älteste Pilger zählte 104 Jahre. Als jüngste Wallfahrer müssten wohl jene angesprochen werden, die während der Romreise verfrüht das Licht der Welt erblickten, vier Knaben und zwei Mädchen, die sich bester Gesundheit erfreuen.
Unter den andersgläubigen Pilgern befanden sich Tausende von Protestanten aus Deutschland, denen man das Heimweh nach der Mutter Kirche von den Augen ablesen konnte. Einer von den acht amtlichen deutschen Korrespondenten, die das ganze Jahr 1950 hindurch in Rom weilten, versicherte mir sogar, dass 20 Prozent aller deutschen Pilger Protestanten waren. Die Deutschen wurden von den Devisenschwierigkeiten besonders hart getroffen. Manche haben in Rom und auf der Reise direkt gehungert. Aber das nahmen sie gern in Kauf für das große Erlebnis die völkerverbindende Weltkirche in Rom zu sehen. Die Deutschen und Österreicher wurden im Allgemeinen von den Römern und den Fremden besonders herzlich begrüßt und aufgenommen und nicht selten zu einer Gratismahlzeit eingeladen, so groß war das Gefühl der Brüderlichkeit und der Zusammengehörigkeit in der Hauptstadt der Christenheit. Und der Heilige Vater selbst, ein großer Freund des deutschen und österreichischen Volkes, hat den Deutschen das ehrende Zeugnis ausgestellt, dass sie die vorbildlichste Ordnung und die tiefste religiöse Innigkeit an den Tag legten.
Die Früchte des Heiligen Jahres bemisst man nicht mit Zahlen, sie sind in den Herzen der Menschen herangereift. Man wird aber einen Begriff von der Bedeutung des Jubeljahres 1950 erhalten, wenn man sich vor Augen hält, dass man im Jahre 1900 ungefähr 350.000 Pilger, 1925 etwa 582.000 Pilger und 1950 nicht weniger als 6 Millionen Wallfahrer zählte.
Aus dieser Zeit liest man deutlich eine starke Glaubensströmung in einer Welt, die anscheinend immer mehr sich von Gott und seinen heiligen Gesetzen entfernt. Jeder Pilger war ein Beter, der aus religiösem Bedürfnis heraus nach Rom kam. Wogen eines inbrünstigen Gebetssturmes brandeten durch die großen Basiliken, über den Petersplatz und durch die Straßen Roms empor zum Throne Gottes. Angesehene Männer und Offiziere, auch amerikanische, in glänzender Uniform schämten sich nicht, mit einem schwarzen Kranz laut betend und singend an der Spitze ihrer Pilgergruppe durch die belebtesten Geschäftsstraßen Roms zu schreiten.
Und die Gebete der Rompilger vereinigten sich mit denen der Gläubigen in der ganzen Welt und der Millionen von Verfolgten, die am Erscheinen verhindert waren.
Bei dem außergewöhnlich zahlreichen Empfang der Sakramente, bei der Überfüllung der Basiliken, wo man in verschiedenen Sprachen beten und singen hörte, entdeckten die ängstlichen Christen mit Staunen, dass die Zahl der frommen Beter viel größer ist, als man annahm. „Ich habe die Kirche gesehen!“ hat mehr als einer ergriffen bekannt. Als bessere Christen, der Größe und Weltweite ihres Glaubens sich bewusst, sind wohl fast alle aus Rom in ihre Heimat zurückgekehrt, fast alle mit der großen Sehnsucht im Herzen, noch einmal im Leben die Ewige Stadt zu sehen.
Nicht zuletzt hat der Glaube der Millionen und ihre Liebe zur Kirche und ihre Bereitschaft, für sie einzutreten bis zum Ende ihres Lebens, sich entzündet an der überragenden Gestalt und Persönlichkeit des Heiligen Vaters Pius XII., dessen väterlich mildes Lächeln, dessen klare, bis auf den Grund der Seelen dringende Augen und dessen unvergesslich liebreiche Gebärden allen noch in der Erinnerung haften. Die Papstaudienz stellte für jeden ein geradezu überwältigendes Erlebnis dar.
In fast 6.000 Audienzen nahm der Stellvertreter Christi im Jahre 1950 die Huldigung von Millionen Menschen entgegen und erteilte ihnen seinen Segen. Das trifft auf den Tag durchschnittlich 17 Audienzen. 4.712 waren Sonderaudienzen, 646 Privataudienzen, 236 Audienzen von 10 bis 20 Personen, 102 Massenaudienzen im Petersdom. 56 Allgemeinaudienzen wurden im Sommersitz Castel Gandolfo erteilt und 47 Audienzen waren verbunden mit längeren Ansprachen anlässlich der internationalen Kongresse. Dazu kommen noch 36 Audienzen, die Herrschern, Staatsoberhäuptern und Regierungsmitgliedern gewährt wurden.
Es scheint, dass die körperliche Kraft des Papstes, anstatt im Verlauf des Heiligen Jahres abzunehmen, sich ständig steigerte, so dass er Ende 1950 sich wohler und stärker fühlte als Ende 1949. Die Freude, die er empfand ob des unerwarteten Widerhalls seiner Einladung zu Gebet und Buße und Wallfahrt in der ganzen Welt, hat sogar seinem Körper gutgetan und dessen Leistungsfähigkeit noch gesteigert.
Man kann füglich behaupten, dass es in der Geschichte der Menschheit noch keine Persönlichkeit gegeben hat, die in einem Jahr mehr und mächtigere Besucher empfing als Papst Pius XII. im Jahr 1950.
Die Audienzen in Castel Gandolfo fanden gewöhnlich in einer ausgesprochen familiären Art und Weise statt. Da hielt der Papst keine längeren Reden, sondern verkehrte herzlich und väterlich mit seinen Besuchern. Und diese herzliche, echt väterliche Art ist neben dem Verklärt-Überirdischen vielleicht das Hervorstechendste seiner Erscheinung, die jeden sofort in ihren Bann zieht. Den Buben streichelte er nicht ungern über die Locken oder zog sie scherzhaft am Ohrläppchen und fragte, ob sie wohl brav lernten. Bei den Bauern erkundigte er sich, wie es um die Ernte stehe. Und hörte er, dass sie zufrieden waren, so freute er sich sichtlich. Die neuvermählten Ehepaare suchte er immer eigens heraus und zeigte durch besondere Gunsterweisung gegen sie, wie hohen Wert er auf ein christliches Familienleben legt.
Eine der seltsamsten Audienzen dürfte wohl jene vom 15. Dezember gewesen sein, als Papst Pius XII. eine Gruppe von Hirten aus Sardinien und den Abruzzen empfing. Diese einfachen Leute brachten ihm, um ihre kindliche Liebe zum gemeinsamen Vater auszudrücken, große Laibe Schafkäse und die schönsten Lämmer ihrer Herden. Ergriffen nahm der Papst diese Gaben in Empfang. Da begann ein Dudelsack zu spielen, Flöten fielen trillernd ein. Die Hirten beugten ihr Knie und sangen die „Pastorella“, das weihnachtliche Hirtenlied der Heimat. Der Papst hatte das Lied in seiner Jugend beim Bergsteigen in den Abruzzen oft gehört. Es ging ihm zutiefst zu Herzen. Er mag dabei wohl an die frommen Hirten von Bethlehem gedacht haben, die dem Jesuskind huldigten, dessen Stellvertreter er ist. Die hohen Würdenträger des Heiligen Stuhles, die Zeugen dieser trauten Stunde waren, konnten ihre Rührung nicht verbergen. Erschüttert sahen sie, wie über die Wangen des Greises im weißen Papstgewand schimmernde Tränen liefen. Von allen Huldigungen, die Pius XII. im Heiligen Jahr empfing, war dieses Treuebekenntnis des schlichten Hirtenvolkes wohl die ergreifendste.
Aus: Reimmichls Volkskalender, 1952, Autor: Hans Brugger