Sündenbewusstsein und Gottesbewusstsein

Quelle: Distrikt Österreich

Gedanken von Pfarrer Prälat Dr. Erwin Hesse, Wien (1907-1992)

"Mit der Bestimmung der Sittlichkeit als Ordnung des menschlichen Lebens sind wir noch nicht in ihr eigentliches Herz, ihr eigentliches Wesen vorgedrungen, das sind wir erst dann, wenn wir erfassen, dass die sittlichen Gebote von Gott sind. Der Schöpfer, welcher der Welt das Dasein gab, ist notwendig auch der Ordner der Welt. Er selber steht hinter den Geboten mit seiner Ehre und Würde und Weisheit und Gerechtigkeit! Darum ist jede Übertretung der Gebote nicht nur ein Fehler, ein Unglück, das sich innerhalb dieser Grenzen rächen muss, sondern trifft den, der sie gab, stellt Seine Weisheit, Seite Güte in Frage, ist Aufruhr gegen Ihn, und eine Beleidigung, die Ihn erzürnt, von Ihm trennt und sondert, ist Sünde.

Dadurch das die Gebote von Gott kommen, wird ihre Übertretung zur Sünde. Die Verletzung der Gebote wird dessenthalben in dem Maße als Sünde, als Tat nicht nur gegen die sittliche Ordnung, sondern gegen ihren Urheber, erkannt und erlebt werden, in dem Maße der Mensch religiös mehr getroffen und erschüttert von der Wirklichkeit Gottes ist. Das Sündenbewusstsein der Menschen hängt auf das engste mit dem Gottesbewusstsein zusammen.

Nun haben wir in unserer Zeit weithin mit einer entsetzlichen sittlichen Abstumpfung, mit einem erschreckenden Mangel an Sündenbewusstsein zu tun. In ihm offenbart sich der innere Abfall unserer Zeit von Gott (vgl. hl. Paulus, Röm 1, wo die Sündhaftigkeit der Menschen als Folge ihres Abfalls vom lebendigen Gott dargelegt wird).

Damit ergibt sich eine ... entscheidende Aufgabe unserer Verkündigung: Das Gottesbewusstsein zu wecken, das verstandesmäßige Wissen um Gott zu entzünden  zur lebendigen Ergriffenheit von ihm, die das Leben in seiner gesamten Totalität als von Gott erkannt und bestimmt verstehen lässt. Das ist gleichsam die prophetische Aufgabe der Verkündigung.

Im Mangel an Sündenbewusstsein offenbart sich der Mangel an lebendigem Gottesbewusstsein, ja der Abfall von Gott."

 

Zum Autor:

Von 1946 bis 1979 war Prälat Dr. Erwin Hesse Pfarrer in der bekannten Wiener Stadtpfarre St. Rochus. 1931 von Kardinal Friedrich G. Pfiffl zum Priester geweiht, als Religionslehrer und Hochschulseelsorger an der Wiener Peterskirche wirkend, wurde er 1939 von der Gestapo verhaftet und später nach Brünn verbannt, wo er sich um verwundete Theologen kümmerte und eine reiche seelsorgliche Tätigkeit entfaltete. Bald entstanden dort auch seine bekannten Bibelrunden, Prälat Hesse war ein ausgezeichneter Exeget.

In den 70er  Jahren wurde er zu einem der großen, mit geistigen Waffen kämpfenden, Verteidigern der Tradition in Österreich, ein Wegbereiter für das Wirken auch unserer Priesterbruderschaft, mit der er bis zu seinem Tode freundschaftlich sehr eng verbunden war. Regelmäßig hielt er im Wiener Priorat geistliche Vorträge, zelebrierte die Hl. Messe und war auch im hohen Alter ein sehr beliebter Seelsorger.