Wessenberg und das Missale von 1969 (1. Teil)

Quelle: Distrikt Österreich

Vielen dürfte nicht bekannt sein, dass der sogenannte „neue Ordo“ schon zu Beginn des 19. Jahrhunderts einen Vorläufer hat: die selbstherrlich entwickelte „Messe“ des Freimaurers und Generalvikars von Konstanz Ignaz Heinrich von Wessenberg. Er war es, der den romfeindlichen Geist, welcher sich in frühen Zeiten bei den Liberalen der Schweiz und Deutschlands gezeigt hatte, ganz besonders pflegte und nährte und sozusagen in ein System brachte.

Seine gottesdienstlichen Reformen riefen ein großes Aufsehen hervor. Zwar bestand er immer wieder darauf, man müsse „Gott im Geiste und in der Wahrheit“ anbeten, doch war ihm das Rosenkranzgebet verhasst. Er meinte, diese Wiederholungen müssten notwendig in einen toten Formalismus ausarten. Er, der es selber wohl nie gebetet hatte, dispensierte die Geistlichen für einen Kronenthaler auch vom Breviergebet. Wallfahrten und Prozessionen schränkte er stark ein (etwa die Wallfahrt nach Einsiedeln) oder verbot sie ganz („Sie sind ein Gift für die Moralität“). Als hinwegzuräumender Schutt bezeichnete er auch die Verehrung Mariä, die vielen Kapellen, Nebenkirchen, die Nebenmessen an Sonntagen und die Bruderschaften.[1] Eigenmächtig hob er Feiertage auf - und wenn das Volk sie dennoch halten wollte, wurden feierliches Glockengeläut, jede Predigt und ein Hochamt an diesen Tagen untersagt. Weil diesem Reformer die kirchlichen Segnungen ein Dorn im Auge waren, gab er eigene Segnungen heraus - ebenso verfasste er neue farblose Lieder für die Fronleichnamsprozession und entwickelte eine neue Weiheformel für Weihwasser, denn Exorzismen waren ihm verpönt. Den Ordensleuten wurde die Erlaubnis erteilt, weltliche Kleidung zu tragen.[2] Er forderte auch die Abschaffung der Beichte und des Zölibats - und arbeitete mit den Liberalen zusammen, die sich für die Aufhebung der Klöster stark machten. Wessenberg anerkannte die Heilige Messe als Opfer nicht.

Er förderte deshalb die Feier der Liturgie in deutscher Sprache und verlangte streng, dass Amt und Vesper vom Chor deutsch gesungen wurden. Mittelpunkt des Gottesdienstes sollte die Lesung und Erklärung der Heiligen Schrift sein, sowie „die Feier des christlichen Bundes- und Abendmahles als Gedächtnisfeier Christi und als Mahl christlicher Lebensgemeinschaft.“[3]

Ganz entgegen den Worten unseres Herrn Jesus Christus („Wer aber nicht glaubt, wird verdammt werden“ - Mk 16,16) und dem Glaubensbekenntnis des hl. Athanasius („Wer auch immer selig sein will, muss vor allem den katholischen Glauben festhalten. Jeder, der diesen nicht unversehrt und unverletzt bewahrt, wird ohne Zweifel auf Ewig verloren gehen“) bekennt Wessenberg seinen nichtkatholischen „Glauben“ in seinem Gedicht „Mein Glaube“, wo es unter anderem heisst:

„Nicht glaub‘ ich, dass der Dogmen blinder Glaube

Dem Höchsten würdige Verehrung sei,

Er bildet uns ja, das Geschöpf im Staube,

Vom Irrtum nicht und nicht von Fehlern frei.

D‘rum glaub‘ ich nicht, dass vor dem Gott der Welten Des Talmud und des Alkoran Bekenner weniger als Christen gelten;

Verschieden zwar, doch alle beten an!

Ich glaube nicht, wenn wir vom Irrwahn hören,

Der Christenglaube mache nur allein Uns selig! wenn die Finsterlinge lehren:

,Verdammt muss der Andersdenker sein!‘ [...]

Und tret' ich dann einst aus des Grabes Tiefen

Hin vor des Weltenrichters Angesicht,

So wird er meine Taten strenge prüfen,

Doch meinen Glauben? Nein, das glaub ich nicht!‘ [4]

Um seinen „Glauben“ und seine Reformen einzuführen, schuf Wessenberg in Meersburg und Werthenstein Priesterseminare, welche die Pflanzstätten seines romfeindlichen deutschkatholischen Kirchensystems für sein Bistum wurden. Er hatte viele Anhänger, die ihn als zweiten Paulus feierten, der Petrus ins Angesicht widerstanden habe. „Da es ihm nicht schwerfiel, katholische Belange preiszugeben, erfreute er sich auch der Beliebtheit im Protestantismus“[5] - damit gleicht er verschiedenen Klerikern der heutigen Zeit.

Innerhalb seines Bistums verursachten die Neuerungen Wessenbergs eine allgemeine, tiefgreifende Verwirrung. Die überwiegende Mehrheit der Geistlichen und das katholische Volk verweigerten den Anordnungen des Generalvikars den Gehorsam. Eine reformsüchtige, liberale Minderheit aber ging nicht selten noch weiter als ihr Meister. Statt einer Vertiefung des religiösen Lebens führten die liberalen Neuerungen zu einer Verflachung, ja zu einem Absterben des religiösen Lebens.[6]

Diese freimaurerischen Wühlarbeiten und Umtriebe blieben der Wachsamkeit der kirchlichen Obrigkeit nicht verborgen. Papst Pius VII. wandte sich mehrmals gegen die Wessenbergischen Reformen, konnte aber nichts erreichen, weil liberale Regierungen diese stützten. Da trotz allen Vorstellungen bei Bischof Karl Theodor von Dalberg (Bischof von Bamberg, Bischof von Konstanz und Erzbischof von Mainz) Wessenberg als Generalvikar in seinem Amt blieb, löste Nuntius Fabritius Sceberas Testaferrata den schweizerischen Teil von Konstanz los und bestellte den hochachtbaren Stiftspropst von Beromünster, Franz Bernhard Göldin von Tiefenau zum Apostolischen Generalvikar.[7]

Damit kam die nichtkatholische Reform im Geiste Wessenbergs wenigstens in der Schweiz ins Stocken. Göldin machte sich ans Werk, manches, was angestrebt oder bereits umgesetzt worden war, wieder rückgängig zu machen. Dennoch blieben die schweizerischen „Wessenbergianer“ treue Anhänger des deutschen Ritus. Nicht nur das Konstanzer Gesangbuch, sondern auch das Konstanzer Rituale wurden selbst in Gegenden bekannt, die nie in den Amtsbereich des Konstanzer Generalvikars gehörten. Die Spuren Wessenbergs blieben nachhaltig bestehen.[8]

Nachdem die kirchenfeindlichen Reformen des Generalvikars von Konstanz bei der Nuntiatur in Luzern zunächst Misstrauen, dann aber Feindschaft ausgelöst hatten und der Schweizer Teil vom Bistum Konstanz entfernt und den Bistümern Chur, St. Gallen und Basel beigefügt wurde, kam es schliesslich ganz zur Säkularisation des Bistums Konstanz. Schon 1813 hatte nämlich Bischof Dalberg (auch ein Freimaurer) Wessenberg als Koadjutor und Koadministrator auf Lebenszeiten ernannt, verbunden mit dem Wunsch auf künftige Nachfolge. Nach Dalbergs Tod 1817 wählte das Domkapitel Konstanz Wessenberg einstimmig zum Kapitularvikar und Bistumsverweser. Doch Papst Pius VII. erklärte mit dem Breve vom 15. März 1817 aus schwerwiegenden Gründen (ob gravissimas causas) die Wahl für null und nichtig. „Auch Wessenbergs Romreise in der zweiten Jahreshälfte 1817 brachte ihm keine Rechtfertigung, sondern die Bestätigung ihrer Kritik und Skepsis.“[9]

Wessenbergs Niederlage in Rom wurde aber in der deutschen Öffentlichkeit durch geschickte Propaganda zu einem Sieg umgedeutet. Man bereitete ihm bei der Rückkehr einen triumphalen Empfang. Von den liberalen Laien und Klerikern, Protestanten und „Katholiken“, wurde er als „standfester und furchtloser Vertreter deutscher Interessen gegen den päpstlichen Machtanspruch gefeiert, als ein Mann, der sich weder brechen noch korrumpieren ließ - eine in ihrer Kompromisslosigkeit an Luther erinnernde Gestalt.“[10]

Im Rahmen der kirchlichen Reorganisation Deutschlands wurde das Bistum Konstanz 1821 durch die Bulle „Provida sollersque“ von Papst Pius VII. aufgelöst.[11] „Wegen des in Rom in Misskredit stehenden Ignaz Heinrich von Wessenberg wurde entgegen alter kirchlicher Gepflogenheit auf eine Übertragung des Konstanzer Titels nach Freiburg i.Br. verzichtet.“[12]

Nachdem Wessenbergs Ruf bei den katholischen Kirchenhistorikern rettungslos ruiniert war, erfolgte zu Beginn der 60er Jahre offenbar durch die Reformperspektiven des Zweiten Vatikanums ein schlagartiger Wechsel der kirchengeschichtlichen Szenerie: Er wurde nun gewürdigt „als weitsichtiger Reformer in einer Zeit des katastrophalen Umbruchs der katholischen Kirche, gescheitert in einem tragischen Verhängnis am Unverständnis einer Römischen Kurie, zumal eines Papstes, der seinerseits durch die Wirren der Zeitläufe blind geworden war für die historisch gebotenen Assimilationen der Kirche diesseits der Alpen.“[13] Wessenberg wurde rehabilitiert - man begegnet ja „bei der Lektüre der Konzilskonstitution ,Über die heilige Liturgie4 (,Sacrosanctum Concilium4) auf Schritt und Tritt dem Gedankengut und den praktischen Anweisungen Wessenbergs, z.B. zur Verwendung der (deutschen) Volkssprache im Vollzug der Riten, zur Bedeutung der schriftgestützten Predigt, zum Kirchenlied, etc.“[14]

Waren - wie die liberale Geschichtsschreibung und die Anhänger Wessenbergs es oft darstellen - Nuntius Testaferrata und Papst Pius VII. „blind“ (z. B. für eine Reform) in ihren Taten? Ganz im Gegenteil. Sie haben sich für das Heil der Gläubigen eingesetzt. Wie aber würden bzw. müssten der Nuntius und der Papst sich zum Zweiten Vatikanum und zum Missale 1969 äußern?

Wenn man also die Liturgie einer Auslegung der wahren Reform oder des Bruchs unterwirft, zeigt sich, dass hier eindeutig mit dem Zweiten Vatikanum ein Bruch stattgefunden hat: Das Missale 1969 folgt den antikatholischen Reformen des Freimaurers Ignaz Heinrich von Wessenberg, was auch durch die Historiker bestätigt wird, etwa durch Viktor Conzemius („Vor dem Hintergrund der Entwicklung zum 2. Vatikanum und neueren quellenkrit. Studien entwickelte sich ein Verständnis für die Modernität seines [Wessenbergs] Reformwerks.“[15]) oder durch Franz Xaver Bischof („Die kirchenpolitische und theologische Entwicklung des 19. Jahrhunderts ist Wessenbergs Denken und Handeln entgegengesetzt verlaufen, was ihn aus der Sicht einer ultramontanen Geschichtsschreibung zu einer der umstrittensten Persönlichkeiten der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts werden ließ. Erst heute setzt sich aufgrund intensiver Auseinandersetzung mit den Quellen und im Lichte des Zweiten Vatikanischen Konzils eine grundlegende Neubewertung durch.“[16])

[1] vgl. Nöber, C.: Wessenberg, in: Hergenröther, Joseph: Wetzer und Welte’s Kirchenlexikon oder Encyklopädie der katholischen Theologie und ihrer Heilswissenschaften. Freiburg: Herder, 1881-19032 = http://kathenzyklo.bplaced.net/artikel.php?artikel=wessenberg. [5.8.2016]

[2] vgl. Speckle, Ignaz: Die Memoiren des letzten Abtes von St. Peter. Ein Beitrag zur vaterländischen Geschichte. http: //www.stegen-dreisamtal.de/Speckle_XXIII.htm. [5.8.2016]

[3] Segmüller, Fridolin: Blätter aus der Kirchengeschichte der Schweiz zur Zeit der Mediation und Restauration. (Jahresbericht über die Lehr- und Erziehungs-Anstalt des Benediktiner-Stiftes Maria Einsiedeln im Studienjahr 1896/1897). Einsiedeln: Benziger, 1897, S. 13/14/25.

[4] http://freimaurer-wiki.de/index.php/Datei:665782_329493193824173_146977… [10.7.2018]

[5] May, Georg: 300 Jahre gläubige & ungläubige Theologie. Abriss und Aufbau. Bobingen: Sarto, 2017, S. 367.

[6] Müller, Karl: Die katholische Kirche in der Schweiz seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts. Einsiedeln: Benziger, 1928, S. 67/68.

[7] Schwegler, Theodor: Geschichte der katholischen Kirche der Schweiz von den Anfängen bis auf die Gegenwart. (Einsiedler Schriften). Schlieren: Neue Brücke, 1935, S. 192.

[8] Anonymus: Die Durchführung der kirchlichen Verordnungen des Konstanzer Generalvikars J.H. von Wessenberg in der Schweiz [Schluss], in: Internationale kirchliche Zeitschrift: neue Folge der Revue internationale de théologie, 4/1915, S. 442/443. = https://www.e-periodica.ch/digbib/view?pid=ikz-002:1915:5::521#431

[9] Braun, Karl-Heinz: Miszellen: Franz Xaver Bischof, das Ende des Bistums Konstanz: Hochstift und Bistum Konstanz im Spannungsfeld von Säkularisation und Suppression, in: Freiburger Diözesanarchiv, Bd. 110. Freiburg: Herder, 1990, S. 454. = https://freidok.uni-freiburg.de/dnb/download/3889.

[10] Oettinger, Klaus: Freiherr Ignaz Heinrich von Wessenberg. Zu seiner Geltungsgeschichte in der kirchlichen Öffentlichkeit, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung. Ostfildern: Thorbecke, 2010, S. 123.

[11] Trennert-Helwig, Mathias: Wessenberg: Weitsichtig, kurzsichtig, blind? Zum 150. Todestag, in: Kirchliche Nachrichten für das Dekanat Konstanz, Oktober 2010, S. 4.

[12] Bischof, Franz Xaver: Konstanz, in: Historisches Lexikon der Schweiz. = http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D7016.php. [21.7.2018]

[13] Oettinger, Klaus: Freiherr Ignaz Heinrich von Wessenberg. Zu seiner Geltungsgeschichte in der kirchlichen Öffentlichkeit, in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung. Ostfildern: Thorbecke, 2010, S. 133.

[14] Ebenda, S. 134.

[15] Conzemius, Viktor: Wessenberg, in: Historisches Lexikon der Schweiz. = http://www.hls-dhs-dss.ch/textes/d/D10057.php. [21.7.2018]

[16] Bischof, Franz Xaver: Ignaz Heinrich von Wessenberg (1774-1860). http://www.wessenberg.at/wessenbergiana/ihw.htm. [21.7.2018]

Quelle: Heinrich Tschirky, Mitteilungsblatt Distrikt Schweiz, Nr. 477, Oktober 2018