Das Kreuz über der Krippe

Quelle: Distrikt Österreich

Darstellung des Jesuskindes auf dem Kreuz liegend (Trappistinnenkloster Oberschönenfeld, Bayern)

2. Teil der Adventbetrachtungen aus dem Buch "Auf dem Weg nach Bethlehem" (mit freundlicher Genehmigung des Autors, P. Michael Gurtner)

Als wir zuletzt über die dreifache Parusie bzw. den dreifachem Advent unseres Herrn nachgedacht haben, ist bereits kurz ein Sachverhalt angeklungen, welchen es heute zu vertiefen gilt, weil er von Anfang an mitbedacht werden muss, wenn wir uns in der Zeit der Vorbereitung auf die heilige Weihnacht dem Festmysterium annähern wollen, nämlich das Ausgerichtetsein der Krippe auf das Kreuz.

Dabei begeben wir uns in eine so ganz und gar andere Welt als sie uns auf den Weihnachtsmärkten oder in all den medialen Bildern und Botschaften vorzugeben versucht wird. Wird auch immer behauptet der Advent, das sei die stillste Zeit im Jahr, so merken wir doch daß dies so wohl nicht stimmen können wird, ein gewaltiges Maß an Dingen geleistet werden muß. Nicht nur die Einkäufe sind zu erledigen, das natürlich auch, sondern auch die wochenlange Berieselung von triefend-süßem Liedgut, das viele in elf anderen Monaten des Jahres sofort abschalten würden, ist nun in Geduld und mit Wohlgefallen zu ertragen, wir müssen uns besonders anstrengen friedlich zu bleiben und sehen uns einem wahrhaften Harmonieterror ausgesetzt. Das subjektive Empfinden ist nicht selten von einer Aversion gegen Weihnachten, oder besser gegen all sein Drumherum mitgeprägt; Weihnachten- man muss es mögen, ob man mag oder nicht!

Dieser Widerwille gegen eine gewissermaßen aufoktroyierte Seite von einem der zentralen Herrenfeste basiert auf bestimmten Vorstellungen von seiten der Allgemeinheit, welche allerdings nahezu kontradiktorisch gegen die Festmysterien dieses Heiligen Abends, also der Weihnachtsvigil und des darauffolgenden Hochfestes stehen. Dieser massive Gegensatz von dem was die Weihnacht ist und das, was man aus ihr machte: das ist ein gewaltiger Faktor, auf den zahllose weihnachtliche Konfliktsituationen zurückgehen werden.

Weihnachten – das ist eigentlich ein Drama, ein zutiefst erschütterndes Ereignis sowohl in seiner reinen Historie als auch in seiner theologischen Bedeutung. Keine Lieblichkeit, kein holder Knabe im lockigen Haar, keine Idylle. Stattdessen Kälte, Flucht, Ahnung. Über der Krippe schwebt bereits das Kreuz. Dafür hat sich Gott in die Krippe gelegt. Nicht einmal eine Wiege – eine Krippe! Die immaculata conceptio: sie ist die Vorbereitung auf die Weihnacht. Der Erzbischof zu Salzburg, Seine Exzellenz Dr. Georg Eder sagte einmal: „Was größer ist: Weihnachten oder Ostern – wir wissen es wirklich nicht!“ Stimmt. Wir können es nicht sagen, weil es zu sehr eine Einheit bildet. Gott machte sich Mensch um Seines Erlösungssterbens willen. Deshalb. Um die von Gott so sehr geliebte Menschheit erlösen zu können, bedurfte es des gottmenschlichen Opfertodes: die Wirksamkeit desselben hat ihren tieferen Grund in der Tatsache der hypostatischen Union. Der Tod setzte die Geburt voraus, weil Gott entschieden hat, Mensch zu sein wie ein jeder andere Mensch auch Mensch ist, mit Ausnahme der Sünde – nicht etwa durch eine Menschwerdung durch ein plötzliches Herabkommen vom Himmel als Erwachsener oder ähnliches. Diese Inkarnation Gottes kann nicht losgelöst von ihrem Zweck, auf den sie zustrebt, betrachtet werden, wobei zugleich ausgesagt werden muss, daß dieser Zweck, also das Opfer Gottes, seine stellvertretende Sühne, beider Naturen bedarf um wirkmächtig zu sein. Denn einerseits kann nur ein Mensch die Menschheit stellvertreten. Andererseits muss das Opfer wirklich ungeschuldet und darüber hinaus von unendlichem Wert sein, damit eine Wiedergutmachung überhaupt erfolgen kann, und das ist Gott allein möglich, deshalb also Sneine göttliche Natur. Gott opferte keinen Menschen: er opferte sich selbst. Er ist Opfergabe, Opferpriester und Opferempfänger zugleich. Gottheit und Menschheit in einem Individuum, in einem Ich, besser: in einer Person. Das kleine Kind in der Krippe ist wahrer Gott und zugleich wahrer Mensch. Dieser Duophysitismus der zweiten göttlichen Person hat seinen Anbeginn im Augenblick der Empfängnis durch den Hl. Geist: seither besteht die zweite göttliche Person in zwei Naturen, in der göttlichen wie in der menschlichen, beide sind unvermischt und unverwandelt, ungetrennt und ungesondert, in der Krippe wie am Kreuz. Ohne Unterschied. Das, was in etwa dreiunddreißig Jahren für das große Opfer, die Stellvertretung in Leid und Sühne zum Zwecke der Erlösung nötig sein wird, wird somit grundgelegt, tritt quasi in sein Dasein: das zugleiche Bestehen von Gottheit und Menschheit, wobei immer zu beachten ist, dass Christus nicht aus zwei Naturen, sondern in zwei Naturen besteht. Die Inkarnation des göttlichen Wortes war also notwendig, um das große und so sehr über alles erhabene Opfer der Sühne vollziehen zu können. Zu diesem Zwecke wählte sich Gott eine junge Magd als Mutter aus: der erste Tabernakel der Welt! Sie selbst ist in der uneingeschränkten heiligmachenden Gnade stehend, (welche unsereins durch die Erbschuld mangelhaft ist), und somit nicht zur Konkupiszenz neigend, also auch ohne persönliche Schuld.

Man kann deshalb durchaus sagen, Gott schuf sich selbst den heiligsten Ort der Welt, um in diesem dennoch rein menschlichen Leib Wohnung zu nehmen wenn er in Sein irdisches Dasein tritt. Der göttlich-königlichen Majestät Jesu Christi ist ein makelloser Leib angemessen. Das Unangemessene und dennoch Hingenommene beginnt spätestens im Stall, indem es nur eine bescheidene Futterkrippe war, welche den göttlichen Leib des Menschensohnes lediglich überaus mangelhaften Schutz vor Wind und Eiseskälte zu geben vermochte. Die Legende tröstet über diese so bedrückende Tatsache hinweg, welche uns immer recht schuldig fühlen läßt, indem sie uns sagt, daß Ochs und Esel mit ihrem wärmenden Atem dem kleinen Jesusknaben doch zumindest ein wenig Wärme und Wohligkeit verschafft hätten. Wenn wir uns aber ein wenig schuldig fühlen, so ist dies ein Bewußtwerden darüber, weshalb all dies geschehen mußte; weshalb das göttliche Wort Fleisch werden musste, weshalb Gott Mensch wurde und sich in eine Krippe legte. Der große Papst, Seine Heiligkeit Pius XII. schrieb 1945 in seinem Rundschreiben über Christus in der Liturgie „Mediator Dei et hominum“: „In der heiligen Adventszeit weckt sie (die Liturgie) in uns das Bewusstsein der Sünden, die wir leider begangen haben, ermahnt uns, durch Beherrschung der Triebe und durch freiwillige körperliche Buße uns in frommer Betrachtung zu sammeln und uns mit dem lebendigen Verlangen zu erfüllen, zu Gott zurückzukehren, der allein mit Seiner Gnade uns vom Makel unserer Sünden und von den verhängnisvollen Übeln, die daraus entspringen, zu befreien vermag“.

Aus diesem Grund ist der Advent ebenso wie die Fastenzeit ein tempus clausum – eine geschlossene Zeit -  mit dem Gepräge der Buße und der inneren Bereitung. Ohne unser Fehlen hätte Gott nicht Mensch werden brauchen. Propter nos homines. Freilich war Gott nicht gezwungen, sich in unsere menschlichen Niederungen herab zu begeben: wer wollte Ihn zwingen? Doch dass Er es dennoch getan hat, rein „freiwillig“ sozusagen (oder, theologischer gewendet: aus Gnade), berechtigt uns, am Weihnachtstage nur um so mehr zu einer überschwellenden Freude, wie sie so herrlich ihren musikalischen Ausdruck im Beginn des Weihnachtsoratoriums von Johann Sebastian Bach findet: „Jauchzet, frohlocket, auf, preiset die Tage!“ Und auch dem berühmten Hallelujah aus Händels Messias, wohnt die vertonte Festfreude inne, welche dieselbe ist wie jene von Ostern. (Übrigens wird dieses eigentlich weihnachtliche Hallelujah auch sehr gerne als Osterhallelujah gespielt bzw. wird es von vielen für ein Oster-Hallelujah gehalten; zumindest eine überaus bemerkenswerte Analogie, welche durchaus ihre theologische Berechtigung hat!). Auch die Texte der heiligen Liturgie, besonders der alten Liturgie, nehmen starken Bezug auf diesen Zweck der Menschwerdung des Gottessohnes. So betet die Kirche in ihrem Introitus der Vigil von Weihnachten: „Hodie scietis, quia veniet Dominus et salvabit nos: et mane videbitis gloriam eius“. Heute wissen wir es, doch morgen sehen wir. Und in derselben Messe wiederholt sie in ihrem Graduale nochmals dasselbe Wort: „Hodie scietis, quia veniet Dominus et salvabit nos: et mane videbitis gloriam eius“.

Fällt der 24. Dezember auf einen Sonntag fügt sie dem noch hinzu: „Crastina die delebitur iniquitas terrae: et regnabit super nos Salvator mundi“. Morgen wird getilgt die Bosheit der Erde. Morgen. Morgen, wenn der Salvator mundi als Mensch geboren wird. Die alte Liturgie wusste immer einen Bezug herzustellen zwischen Weihnachten und seinem Zweck. Krippe und Kreuz sind nicht voneinander losgelöst: die Krippe ist wegen dem Kreuz! Und auch nicht umgekehrt! Und das Kreuz ist propter nos homines: und somit auch die Krippe! Propter nos homines et propter nostram salutem descendit de coelis et incarnatus est de Spiritu Sancto ex Maria virgine: Et homo factus est.

Und am Ende nahezu einer jeden Messe (mit einigen wenigen Ausnahmen) ließ die Kirche aus demselben Grund den Priester den wahrscheinlich tiefgreifendsten Text der gesamten heiligen Schrift rezitieren: den Prolog des Evangeliums nach dem heiligen Johannes. ... Et verbum caro factum est: einst in Bethlehem wie auch jetzt eben am Altar, wo sich das Opfer gerade in unblutiger Weise erneuert hat und Christus selbst in die Welt kam: Corpus Christi! Nach beinahe jeder Messe wurde im Beten der Kirche der Bezug Kreuz – Krippe nochmals hergestellt. Wie Christus seine reale und physische Gegenwart unter den Menschen nahm, als er in diesem kleinen Stall zu Bethlehem geboren ward, so hat Er auch jetzt eben im vorangegangenen Opfer am Altar reale und wirkliche Gegenwart unter den Menschen genommen – Er hat unter ihnen Sein Zelt aufgeschlagen (Vgl. Jo 1,14 im altgriechischen Text – darauf werden wir noch genauer stoßen). Es ist derselbe Christus: mit Seiner Gottheit und Seiner Menschheit, mit seinem Geist und Seiner Seele, in Seinem Fleisch und Seinem Blut.

Betrachten wir abschließend nun die eben umrissenen Gedanken in ihrem Zusammenhang, so stellen wir fest, dass für die Geburt Jesu Christi dasselbe gilt, wie auch für Sein Sterben: nach außen hin erniedrigend und verloren, doch in Wahrheit ist beides von einer Erhabenheit und Glorie, wie sie kaum verbalisierbar sind. In der Krippe lag Jesus in Windeln gewickelt (am Kreuz hatte er nicht einmal mehr diese), und dennoch ist Er der König, der Weltenrichter, der Salvator mundi, der letzthinige Sieger, der Allherrschende. Dem Kind sieht man in Seinem armseligen Anschein Seine Gottheit nicht an: doch lag in der Krippe nicht ein Kind wie jedes andere, sondern der Schöpfer aller Dinge. Es war die Geburt dessen, der Himmel und Erde erschaffen hat.

Seine Eminenz Berulle schrieb zu diesem Mysterium der Geburt des Schöpfers: „Es ist nicht an uns, von diesem Geheimnis zu sprechen, wir müssen es viel eher in tiefem Schweigen bewundern und verehren, als es durch unsere schwachen Gedanken entheiligen und herabwürdigen“.

Ja, Christus war in die Welt herab erniedrigt, aber in den Himmel hinauf erhöht. Unser Reden kann nur hinter dem zurückbleiben, was dieses Ereignis ist. Unser Denken darüber ist ein Bruchwerk dessen, was es eigentlich bedeutet. Lediglich ein Stück weit erahnen können wir die Bedeutung. Die Wunder und Zeichen, durch welche die Geburt des Heilands und Erlösers begleitet wurde, geben Kunde die uns ein wenig Ahnung läßt. Der Engel, der Stern, die besondere Erwählung Mariens, der Besuch bei der Base lassen den menschlichen Geist erkennen, dass es sich nicht um eine Geburt handelt, wie sie alltäglich ist. Nein, Gott hat sich nicht geschont für uns. Von Anfang an nicht. Das war Ihm die Erlösung Seines Erschaffenen wert, er beschloss, eine freiwillige und ungemusste Rettungsaktion für die gebeugte Menschheit zu starten. Genau darin besteht die Größe und die Wirksamkeit der Satisfaktion: sie geschah in einer absoluten Eigeninitiative Gottes. Die aus der Ordnung geratene Schöpfung wurde so wieder in einen Bund geholt, indem Gott in Christus für alle Mensch wurde, um für alle zu sterben. Dass dieses „Heilsangebot“ allerdings nicht alle annehmen, wirkt dadurch freilich ebenso um so schwerer. Für alle und doch nur für viele: allen angeboten, und doch nur von vielen angenommen.

Wenn uns Gott schon so weit entgegenkam und sich bis auf das geht nicht mehr entäußerte und erniedrigte, aus reinem Erbarmen über Seine Geschöpfe, dann ist es doch wohl das mindeste, dass auch wir Gott „entgegenkommen“, indem wir uns gegen die Sünde entschieden entscheiden, welche ja dieses Drama erst ausgelöst hat, auch wenn es in aller Freiwilligkeit geschah. Die Menschwerdung und die damit verbundene Erlösung ist kein Freibrief zur Sünde. Im Gegenteil: dadurch, dass wir eine Möglichkeit (nämlich der Erlösung) bekommen haben, wird die Sünde erst recht ihrer Gleichgültigkeit beraubt, weil durch das Angebot Christi wieder eine Hoffnung auf Heil besteht. Doch dieses Heil ist nicht selbsteintretend, wir müssen uns mit unserer Art der Lebensführung des Heiles würdig erweisen. Dass wir dies überhaupt können, hat seinen Grund im Opfertod Jesu Christi. Propter nos homines et propter nostram salutem. Sonst hätte Gott nicht Mensch zu werden brauchen, wenn es nicht um unser ewiges Heil ginge, denn Gott ist vom Menschen komplett unabhängig; das menschliche Seelenheil hingegen steht in starkem Abhängigkeitsverhältnis zu Gott, von welchem uns nichts zu trennen vermag, außer die (Tod)sünde allein. Diese dafür ist um so gefährlicher für uns und unsere Zukunft in der Ewigkeit! Das ewige Heil zu wollen, aber nichts selbst dafür zu opfern, geht nicht zusammen – dann ist es einem nicht wirklich ernst um das ewige Leben in göttlicher Gegenwart!