Der dreifache Advent

Quelle: Distrikt Österreich

In diesem Jahr feiern wir einen besonders kurzen Advent, er beginnt erst am 3. Dezember und der vierte Adventsonntag ist zugleich auch der Hl. Abend. Wegen der kurzen verfügbaren Zeit beginnen wir mit den Betrachtungen zum Advent schon am 1. Dezember. Dreimal in der Woche bringen wir mit freundlicher Genehmigung des Autors, P. Michael Gurtner, einen Abschnitt aus seinem Buch "Auf dem Weg nach Bethlehem".

Der dreifache Advent

Wenn wir uns nach Art eines „theologischen Adventskalenders“ an das Festmysterium der Weihnacht herantasten möchten, so steht es uns zunächst an, die Bedeutung dieses „Adventes“ näher zu beleuchten und uns so bereits am Beginn dieser Vorbereitungszeit auf das Ziel hin zu orientieren.

Das Wort „Advent“, so wissen wir, leitet sich vom Lateinischen adventus bzw. advenire ab, was soviel bedeutet wie Ankunft bzw. ankommen. Es ist also die Zeit der erwartenden Vorbereitung auf die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus. Selbstverständlich steht in dieser liturgisch geprägten Zeit stark die Ankunft des Sohnes auf Erden vor 2000 Jahren im Vordergrund, als Gott im Sohn Mensch wurde.

Darüber hinaus sollten wir jedoch nicht vergessen, daß die Ankunft unseres Heilandes eigentlich eine dreifache ist: wir begehen liturgisch die historische Inkarnation, d.h. der Fleischwerdung der zweiten göttlichen Person vor rund 2000 Jahren. An Weihnachten feiern wir dieses Glaubensgeheimnis, und in der ihr vorangehenden Adventzeit bereiten wir uns auf dieses Herrenfest vor, um es dann in rechter Weise würdig begehen zu können, nachdem wir unsere Seele auf dieses Festmysterium hin ausgerichtet haben.

Die Menschwerdung des Gottessohnes ist ihrerseits allerdings wieder der Beginn der langen Vorbereitungszeit der Menschheit auf die Parusie, das heißt auf das (erneute) Ankommen Christi „um zu richten die Lebenden und die Toten“, wie wir im Credo unseren Glauben bekennen. Dem liturgischen Advent, der uns auf die liturgische Weihnacht vorbereiten soll, entspricht der historische Weltenlauf unserer Tage, welcher uns auf das künftige Kommen Christi zum letzten Gericht vorbereiten soll. Der weihnachtliche Advent stellt uns also das im Kleinen vor Augen, was im Großen für unser ganzes Leben gelten muß: wir bereiten uns auf die Ankunft des Herrn vor. Wie er vor 2000 Jahren in Bethlehem in die Welt kam, um uns zu erlösen, so wird er nochmals kommen, um die Ernte einzufahren und die Welt die Frucht dieser Erlösung verkosten zu lassen, welche im großen Gericht besteht. Das Gericht ist die Frucht des „Baum des Kreuzes“, und somit Frucht der Erlösung. Die Rückschau auf das erste Kommen ist also zugleich auch eine Vorschau auf sein letztes Kommen.

Dieses erneute Kommen des Herrn zum Gericht wird gewöhnlich mit „Parusie“ bezeichnet. Das griechische Wort „Parusie“, welches in unserem Denken eher mit der letzten Ankunft Jesu Christi assoziiert wird, entspricht jedoch dem lateinischen „adventus“, welches mit der ersten Ankunft Gottes unter uns Menschen verbunden wird. „Advent“ und „Parusie“ sind einander schon allein vom sprachlichen Aspekt her einander viel weniger entgegengesetzt als es manchem quasi aus Gewohnheit erscheinen mag. Diese Entsprechung von „Advent“ und „Parusie“ verwundert jedoch nicht, wenn man von der sprachlichen zur theologischen Sicht wechselt, denn die erste Ankunft des Heilandes ist auf Seine letzte Ankunft hin ausgerichtet. „Advent“ und Parusie“ sind gleichsam die beiden Extrempunkte der ersten und letzten Ankunft.

Der klassische römische Ritus hat dieses Aufeinanderbezogensein der ersten und der letzten Parusie gleich zu Adventbeginn durch die Auswahl seiner Propriumstexte klar hervorgehoben. Das Evangelium des ersten Adventsonntages ist bezeichnenderweise genau jene Stelle aus dem Ende des Lukasevangeliums, in welcher Christus selbst von seiner letzten Wiederkunft spricht (Lk 21, 25-33).

Zwischen diesen beiden Ankünften des Herrn liegen jedoch unzählige andere „Parusien“ oder „adventi“ unseres göttlichen Heilandes, sozusagen ein dritter Typus göttlicher Ankunft. Es handelt sich um das eucharistische Kommen unter den Gestalten von Brot und Wein, welche aber ihrem Wesen nach der wahre Leib und das lebendige Blut unseres Herrn und Heilandes Jesus Christus sind: in der Wein- und Brotsgestalt kommt Christus ganz und vollständig auf Erden, mit Leib und Seele, Menschheit und Gottheit, Fleisch und Blut. Diese Ankunft des Herrn geschieht bei jeder Heiligen Messe.

Somit zeichnet sich gewissermaßen eine durchgehende Linie ab: Die erste Ankunft des Herrn im Stall von Bethlehem ist auf das Kreuz in Jerusalem hin ausgerichtet, welches der Schlüssel zum Paradies ist, das uns durch die Urschuld Adams verschlossen worden war und durch das Opfer des Sohnes nun wieder geöffnet wurde. Dieses Kreuz, bzw. genauer gesagt das damit verbundene Opfer zielt wiederum auf das Jüngste Gericht Jesu Christi ab, welches eine Frucht des Kreuzesopfers ist. Zwischen diesen beiden Weltankünften Jesu Christi liegt die Zeit der sichtbaren Kirche. Diese Zeit der Kirche, in welcher die objektiv erfolgte Erlösung auch an den einzelnen Subjekten Wirklichkeit werden soll, verbindet gleichsam die erste und die letzte göttliche „Parusie“. Durch die sichtbare Kirche und in ihr, so sagten wir, möchte Gott uns in die ewige Kirche, d.h. in die Heiligkeit holen. Die Gnadenmittel, welche er ihr dazu eingestiftet hat, sind vornehmlich die sieben heiligen Sakramente, unter welchen die Hochheiligste Eucharistie den ersten und vornehmsten Platz einnimmt, denn in ihr wirkt nicht nur Christus selbst, sondern sie IST Christus selbst. Von daher ist das Heilige Messopfer, welches die Gegenwärtigsetzung des einen und über alles erhabenen Kreuzesopfers ist, die dauernde Parusie des Herrn inmitten Seiner Schöpfung.

Somit erahnen wir bereits den extrem hohen Stellenwert und die absolute Heilsrelevanz der Liturgie. Parusie ereignet sich immer in Liturgie, sie ist geradezu selbst liturgischer Vollzug. Bei der Menschwerdung des Herrn berichten uns die Evangelien von den Engeln, welche gesungen (Lk 2,13f.) und von den einfachen Hirten (Lk 2,8-20) und hohen Weisen (Mt 2,11), welche kamen um den Jesusknaben anzubeten. Darin sehen wir einen ersten Hinweis darauf, was die Hauptaufgabe der Kirche sein wird: nämlich dem Herrn zu huldigen, Ihm die geschuldete Ehre zu erweisen und Ihn anzubeten. Somit ist bereits im Anfang der Kern des liturgischen Tuns der Kirche angelegt.

Das, worauf die Krippe hin ausgerichtet war, nämlich das Kreuz, ist wiederum die Liturgie schlechthin: der zentrale jüdische Kult wird aufgenommen und in einen neuen Bund gewandelt, welcher an die Stelle des alten tritt und von nun an ein ewiger sein sollte. Mit dem Zerreißen des Vorhanges des Tempels, der zentralen jüdischen Kultstätte in welcher das Allerheiligste verborgen aufbewahrt wurde, wird das wahre Allerheiligste, der dreifach Heilige selbst sichtbar und geoffenbart. Dieses Opfer am Kreuzesstamm setzt sich fort in der eucharistischen Liturgie, der Hl. Messe, welche dasselbe Opfer unblutig real präsentsetzt und währenddessen die Kirche in ihrer Liturgie auf das Ziel dieses „mysterium fidei“ verweist, auf welches all das hin ausgerichtet ist: „Mortem tuum annuntiamus, Domine, et tuam resurrectionem confitemur, donec venias!“. Diese hier angerufene Wiederkunft des Herrn, auf welche alles Vorangegangene letztlich abzielt, wird wieder eine liturgische sein, so wie es uns das letzte neutestamentliche Buch vor Augen stellt, nämlich die Apokalypse des Heiligen Johannes.

In diesem Buch ist uns die himmlische Liturgie geoffenbart, auf welche alles zustrebt, ganz speziell auch unsere „irdische“ Liturgie. Der Advent ist von daher eine zutiefst apokalyptische Zeit, und zwar in all seinen drei Aspekten: die erste Ankunft des Herrn bei der Menschwerdung, die letzte Ankunft zum jüngsten Gericht, sowie die eucharistische Ankunft, welche diese beiden Momente der Geschichte miteinander verbindet. Dabei ist unbedingt darauf hinzuweisen, daß die Apokalypse zwar sehr wohl prophetisch ist, jedoch nicht in diesem Sinne wie „prophetisch“ oftmals verkürzt mißverstanden wird: denn „prophetisch“ bedeutet nicht bzw. nicht in erster Linie „Zukünftiges voraussagend“, sondern „Prophetie“ bedeutet nichts anderes als die „Zeichen der Zeit“, wie man heute oftmals sagt, recht deuten zu können. Eine „Gabe der Prophetie“ oder ein „prophetisches Zeichen“ ist also nicht etwas, das erst in der mehr oder weniger fernen Zukunft aktuell und relevant würde, sondern es bedeutet das rechte Deuten der göttlichen Ereignisse in der Zeit.

In eben diesem Sinne ist auch der apokalyptische Advent prophetisch zu nennen: die dreifache Parusie ist der Schlüssel zum Verständnis des Weltenlaufs. Die Apokalypse wird nicht irgendwann eintreten, sondern wir stecken seit 2000 Jahren mitten in derselben: sie erklärt uns die Welt bis zur Wiederkunft Christi, jedoch nicht als Voraussage konkreter Ereignisse, sondern in deutenden Bildern dessen, was im Eigentlichen geschieht.

Vor diesem Hintergrund schreibt Hw. Reto Nay vollkommen zurecht: „Die Offenbarung des Johannes ist nichts anderes als die Darstellung des andauernden Kommens Jesu in die Welt.“[1]

Die Ankunft Jesu in der Krippe war also auf Sein Heilswirken am Kreuzesstamm ausgerichtet, und dieses Heilswirken zielt auf unser persönliches ewiges und unverlierbares Heil ab, welches uns bei der letzten Wiederkunft Christi zuteil werden wird, wenn Er kommt in Herrlichkeit, um zu richten die Lebenden wie die Toten (so wir nicht durch unser Leben dem Verderben anheimfallen). Die Zeit, welche zwischen dieser ersten und letzten Parusie liegt, ist die Zeit der Kirche, welche durch die andauernde eucharistische Parusie gekennzeichnet ist und in der uns das wirksamste Heiligungsmittel schlechthin gegeben ist, nämlich der erlösende Leib und das heilsbringende Blut unseres Retters selbst!

Die apokalyptische Zeit des Adventes ist von daher eine liturgische Zeit der gezielten Vorbereitung auf das dreifache Kommen Jesu Christi. Erstens liturgisch auf die Geburt in Bethlehem um auf das Kreuz zu gehen, zweitens in der Allerheiligsten Eucharistie um das Kreuzesopfer fortzuführen, welches uns – drittens –  für das künftigen Kommen zum Jüngsten Gericht rüstet, in welchem die Ernte der Früchte des gestorbenen Weizenkornes eingefahren werden wird.

 

[1] Don Reto Nay, das Kommen Jesu in der Apokalypse des Heiligen Johannes, in: die Wiederkunft Christi. Hrsg. Von Alma v. Stockhausen und Albrecht Graf von Brandenstein-Zeppelin, Gustav-Siewerth-Akademie 2011, S. 23