Was ich Kardinal Kasper noch sagen wollte

Quelle: Distrikt Deutschland

Am Dienstag, dem 27. Januar dieses Jahres, fand im Erbacher Hof in Mainz ein Vortrag von Kardinal Kasper statt zu dem Thema: „Barmherzigkeit – Schlüssel christlicher Lebenspraxis“.

Der Saal war voll besetzt und die meisten Zuhörer erwarteten wohl, daß der Kardinal schon bald seine Position in der Frage der Kommunionerteilung für bürgerlich Geschiedene und Wiederverheiratete gegen seine Gegner auf der Synode über die Familie im vergangenen Herbst verteidigen würde.

Aber Kardinal Kasper sprach ausführlich über die Barmherzigkeit im allgemeinen und dann über die Rolle der Barmherzigkeit zunächst im Alten und dann im Neuen Testament. Dabei erwies er sich als ein kenntnisreicher Theologe.

Allerdings war fast ausschließlich von der Barmherzigkeit Gottes in einer Weise die Rede,  daß man den Eindruck gewinnen konnte, der Mensch könne seines Heils sicher sein.

Zwar war am Rande auch von der Gerechtigkeit Gottes die Rede, aber sie werde, so äußerte sich der Kardinal sinngemäß, von der Barmherzigkeit Gottes überboten.

Erst gegen Ende seines Vortrags kam er auf seine Position in bezug auf die Kommunionerteilung an bürgerlich Geschiedene und Wiederverheiratete zu sprechen, wobei er sich im Sinne seines im Vorfeld der Synode über die Familie gehaltenen Vortrags äußerte. Demnach solle es künftig – im Widerspruch zur katholischen Lehre – bürgerlich Geschiedenen und Wiederverheirateten gestattet sein, nach einer gewissen Zeit der Trennung von dem Ehepartner die Kommunion zu empfangen.

Darüber hinaus bekundete der Kardinal seine Zuversicht, daß auf der Synode über die Familie im kommenden Herbst, bei der erst Beschlüsse in dieser Sache gefaßt werden sollen, die erforderliche Zweidrittelmehrheit für ein Dokument, das in seinem Sinne verfaßt ist, zustande kommen werde.

In einem Beitrag zu der sich an den Vortrag anschließenden Diskussion wies ich zunächst darauf hin, daß die Gerechtigkeit Gottes an zahlreichen Stellen der Heiligen Schrift in einer für den Sünder furchterregenden Weise zum Ausdruck kommt, worin mir der Kardinal mit einer entsprechenden Geste ersichtlich zustimmte. Zum Beleg beschränkte ich mich auf die Stelle der Heiligen Schrift: „Wer glaubt und sich taufen läßt, wird gerettet werden. Wer nicht glaubt, wird verdammt werden“ (Mk 16,16).

 

Da für Kardinal Kasper die Erteilung der Kommunion an bürgerlich Geschiedene und Wiederverheiratete ein Akt der Barmherzigkeit ist, wollte ich anschließend meine Gegenposition darlegen, daß eine solche Tat gerade nicht ein Akt der Barmherzigkeit ist, sondern, im Gegenteil, ein Akt der Unbarmherzigkeit, und zwar im doppelten Sinn.

Dazu kam es aber nicht, weil der Diskussionsleiter mir das Wort entzog.

 

Hätte er mir die Möglichkeit zur Darlegung gegeben, dann hätte ich folgendermaßen gegen die Barmherzigkeits-These des Kardinals argumentiert:

Ein bürgerlich Geschiedener und Wiederverheirateter sündigt schwer, wenn er die hl. Kommunion empfängt, lehrt doch der hl. Paulus über den Empfang der heiligen Kommunion:

 

„Wer also unwürdig dieses Brot ißt oder den Kelch des Herrn trinkt, der versündigt sich am Leibe und Blute des Herrn … Denn wer unwürdig ißt und trinkt, der ißt und trinkt sich das Gericht, da er den Leib des Herrn nicht [von gewöhnlicher Speise] unterscheidet.“ (1 Kor 11, 27,29)

 

Wenn, der Lehre der Kirche gemäß, dem Ehebrecher vom Priester die Kommunion verweigert wird, dann hat der Betreffende zwar die Absicht, die Kommunion zu empfangen, aber diese Absicht kommt nicht zur Verwirklichung.

Zwar ist bereits die Absicht sündhaft, in diesem Zustand die Kommunion zu empfangen, aber die Sündenschuld wird noch vergrößert, wenn der Betreffende diese Absicht in die Tat umsetzt. Von dieser Verschlimmerung der Sünde hält ihn der Priester zurück, wenn er ihm die hl. Kommunion verweigert.

Wenn aber, nach dem Willen von Kardinal Kasper, dem Betreffenden die Kommunion gereicht wird, dann hat dieser demnach im Gericht Gottes eine schwerere Sünde zu verantworten.

Deshalb ist die Erteilung der Kommunion ein Akt der Unbarmherzigkeit gegenüber dem Ehebrecher, weil auf diese Weise seine Sünde vergrößert wird.

 

Eine Unbarmherzigkeit besteht also zunächst dem Sünder gegenüber, weil der unwürdige Kommunionempfang, der bei ihm der Absicht nach bestand, dann zur Tat geworden ist.

Eine Unbarmherzigkeit besteht aber auch dem Priester gegenüber, wenn die von Kardinal Kasper gewollte Veränderung der Lehre der Kirche die erforderliche Zweidrittelmehrheit erreicht. Denn der Priester hat dann Anteil an der Schuld des Betreffenden, weil durch ihn die in der Absicht bestehende Sünde zur Tat wird. Der Kirchenrechtler Prof. Georg May bemerkt zum Anteil an fremden Sünden:

„Fremde Sünden sind jene, die jemand nicht selbst begeht, an denen er aber irgendwie schuld ist, weil er sie veranlaßt, gefördert oder zugelassen hat. Wer eigene Sünden begeht, übergibt sich selbst dem bösen Feind. Wer die Sünde anderer veranlaßt, fördert oder zuläßt, obwohl er sie hindern könnte und sollte, wird zum Helfershelfer des Bösen.“ („Ausgewählte Aufsätze“, Köln, 1996, S. 186)

 

Die von Kardinal Kasper beabsichtige Veränderung der Lehre der Kirche über den Kommunionempfang ist also nicht ein Akt der Barmherzigkeit, sondern sie ist, im Gegenteil, ein Akt  der Unbarmherzigkeit, und zwar in doppeltem Sinn, nämlich sowohl dem Ehebrecher als auch dem Priester gegenüber, dessen Gewissen dadurch belastet wird, daß er die Sünde, zu kommunizieren, Wirklichkeit werden läßt.

 

Die Frage nach der Barmherzigkeit stellte sich in diesem Vortrag noch in einem anderen Zusammenhang, nämlich im Hinblick auf den Ökumenismus, den das Pastoralkonzil ins Werk gesetzt hat.

Kardinal Kasper zählte nämlich in seinem Vortrag die sieben Werke der leiblichen und geistlichen Barmherzigkeit auf. In der anschließenden Diskussion bezog sich mein Bruder auf das Werk der geistlichen Barmherzigkeit: „die Unwissenden belehren“ und behauptete, daß der vom Ökumenismusdekret Unitatis redintegratio grundgelegte Ökumenismus diesem Werk der Barmherzigkeit nicht gerecht werde.

Um dies zu erkennen, gilt es bei den Unwissenden zunächst zu unterscheiden zwischen denen, die die katholische Wahrheit noch nicht kennengelernt haben, und denen, die sich von ihr getrennt haben. Nur um letztere geht es beim Ökumenismus, denn es geht bei diesem um die getrennten Christen.

Der Kardinal widersprach der Behauptung, daß der Ökumenismus des Pastoralkonzils dem Werk der geistlichen Barmherzigkeit „die Unwissenden belehren“ nicht gerecht werde, und wies darauf hin, daß es stets sein Anliegen gewesen sei, in den Verhandlungen mit den Vertretern der anderen Religionen nicht nur die Gemeinsamkeiten, sondern auch die Unterschiede in den Lehren herauszustellen, was gewisse Medien – gemeint waren wohl solche aus dem konservativen Bereich – nicht korrekt dargestellt hätten.

 

Aber diese Antwort geht am Problem vorbei, denn es ist doch ein fundamentaler Unterschied, ob man einem Andersgläubigen nur sagt: „In den betreffenden Punkten sind wir unterschiedlicher Auffassung“, oder ob man ihm darüber hinaus darlegt, daß er sich in bezug auf diese Punkte im Irrtum befindet, und ihn zur Umkehr aufruft.

Jenes Werk der geistlichen Barmherzigkeit verlangt eben nicht nur, dem Andersdenkenden seine Abweichung von der katholischen Lehre aufzuzeigen, sondern auch, diese Abweichung als Irrtum zu erweisen und zu versuchen, ihn zur Annahme der Wahrheit zu bewegen.

 

Entsprechend begnügt sich ja auch ein Mathematiklehrer nicht damit, einem Schüler, der eine falsche Lösung für eine Aufgabe präsentiert, zu sagen, daß zwischen seiner Lösung und der Lösung des Lehrers ein Unterschied besteht, sondern er wird ihm den betreffenden Fehler aufzeigen und versuchen, ihn zur Einsicht zu bringen.

  

Die Forderung, die Unwissenden zu belehren, schließt demnach ein, denen, die sich von der katholischen Wahrheit getrennt haben, sowohl zu beweisen, daß sie sich im Irrtum befinden, als auch sie aufzufordern, sich von diesem abzuwenden und sich der katholischen Wahrheit wieder zuzuwenden.

 

Genau das strebt aber die Rückkehr-Ökumene an, und deshalb wird sie der Forderung jenes Werkes der Barmherzigkeit gerecht: „die Unwissenden belehren“, wogegen die pastoralkonziliare Koexistenz-Ökumene, die im falschen Zeichen gegenseitiger Bereicherung steht, der Forderung dieses Werkes der geistlichen Barmherzigkeit nicht gerecht wird.

Von Dr. Wolfgang Schüler