Die Quelle alles Schönen

Quelle: Distrikt Österreich

Das überwesentlich Schöne (Gott) heißt Schönheit, weil von Ihm jedem Wesen nach Seiner Eigenart Schönheit mitgeteilt wird, weil es Ursache der harmonischen Ordnung und des Glanzes aller Dinge ist, indem es nach Art des Lichtes in alle Wesen seine Schönheit bewirkenden Mitteilungen des Strahlenquells hineinblitzt, weil es alle zu sich ruft und alles in allem in ein und dasselbe zusammenführt. Schön wird es genannt, weil es durch und durch schön und überschön ist, weil es immer in gleicher Beziehung und auf gleiche Weise schön ist. Weil es kein Entstehen und kein Vergehen, kein Zunehmen und kein Abnehmen kennt. Weil es nicht nach der einen Seite schön und nach der anderen unschön ist; weil es nicht bald schön, bald nicht schön ist. Weil es nicht für das eine Ding schön, für das andere aber hässlich ist. Weil es nicht an dem einen Ort schön und an dem anderen nicht schön ist; weil es nicht für manche schön ist und für manche nicht. Es wird schön genannt, weil es an und für sich selbst und in sich gleichgestaltig immer schön ist und die Schönheit als Quelle alles Schönen auf eminente Weise in sich vorausbesitzt. Denn in der einfachen übernatürlichen Natur alles Schönen hat jede Schönheit und jedes Schöne auf eingestaltige Weise sein ursächliches Vorausbestehen.

Diesem Schönen verdanken alle Wesen, dass sie in der entsprechenden Weise schön sind. Durch das Schöne bestehen Harmonien des Alls, Freundschaften und Gemeinschaften. Durch das Schöne ist alles geeint. Urbeginn von allem ist das Schöne, weil es die hervorbringende und alles bewegende Ursache ist und alles durch die Liebe zur eigenen Schönheit zusammenhält. Das Schöne ist auch Endabschluß und als Ziel von allem liebenswert; denn alles wird um des Schönen willen. Es ist ferner vorbildliche Ursache, weil nach ihm alles bestimmt ist. Deshalb ist auch das Schöne gleichbedeutend mit dem Guten, weil alles nach jeder ursächlichen Hinsicht das Schöne und das Gute erstrebt. Und es gibt gar kein Wesen, das nicht am Schönen und am Guten Anteil hat.

Dieses eine Gute und Schöne ist auf einzigartige Weise die Ursache all des vielen Schönen und Guten. Von ihm stammen alle wesenhaften Existenzen der Dinge, die Einigungen, die Unterscheidungen, die Gleichartigkeiten, die Verschiedenheiten, die Ähnlichkeiten, die Unähnlichkeiten, die Gemeinsamkeiten des Entgegengesetzten, die Unvermischtheiten des Geeinten, die fürsorglichen Akte der Höherstehenden, der wechselseitig innere Zusammenhang der gleichstufigen Wesen, die Hinkehr der Tieferstehenden zu den Höheren, das unbewegliche, zur Selbsterhaltung dienende Bleiben und Festbestehen aller Dinge. Von ebendaher haben ihren Ursprung die jedem angemessenen Gemeinschaften aller Wesen in allen, die (harmonischen) Anfügungen, die unverwirrten Freundschaften und Einklänge des Universums, die ausgleichenden Mischungen im Weltganzen und die unauflösbaren Verbindungen der Wesen, die nie versiegenden Abfolgen der werdenden Dinge, alle stehenden Verhältnisse, die Bewegungen der Geister, Seelen und Körper. Denn Stand und Bewegung ist für alle Wesen das Gute und das Schöne, das, über Stand und Bewegung erhaben, jeglichem Ding einen festen Stand in seinem eigenen Verhältnis anweist und die ihm entsprechende Bewegung verleiht …

Alles, was ist, ist aus dem Schönen und Guten und in dem Schönen und Guten und neigt zum Schönen und Guten. Alles schaut nach Ihm und wird von Ihm bewegt und zusammengehalten. Um Seinetwillen, durch es und in ihm ist jedes vorbildliche, vollendete, bewirkende, gestaltende, elementare Prinzip und einfachhin jedes Prinzip, jeder Zusammenhalt, jeder Endabschluss. Um es zusammenfassend zu sagen: Alle Dinge sind aus dem Schönen und Guten, und alles, was kein Sein hat, ist überwesentlich in dem Schönen und Guten. Es ist Anfang und Ende von allem, über jedem Anfang und jeder Vollendung. Denn aus Ihm und durch Ihn und in Ihm und zu Ihm hin ist alles, wie das heilige Wort sagt. Für alle Wesen ist also das Schöne und Gute ein Gegenstand des Erstrebens, der Sehnsucht und Liebe. Durch dasselbe und um Seinetwillen wenden sich liebend die tieferstehenden Wesen den höheren zu, lieben die gleichartigen Wesen gemeinschaftlich die gleichstufigen, lieben die höheren fürsorgend die niedrigen und lieben alle in Selbsterhaltung sich selbst. Nach dem Schönen und Guten strebend tun und wollen alle Wesen, was immer sie tun und wollen. Ja, die wahrhafte Rede wird auch kühn zu behaupten wagen, dass selbst der Urheber von allem wegen des Übermaßes von Güte alles liebt, alles macht, alles vollendet, alles zusammenhält, alles zu sich hinwendet und dass auch die göttliche Liebe gütig ist wegen der Gutheit des Guten. Denn eben die gütig wirkende Liebe zum Seienden, die im Guten überschwänglich vorausexistiert, ließ den göttlichen Urheber nicht unfruchtbar in sich selbst verbleiben, sondern bewog Ihn, gemäß der Überfülle Seiner allschöpferischen Kraft zu wirken.

Pseudo-Dionysos Aeropagiata: Über heilige Namen 4,7.10 (6. Jahrhundert)