Siehe, es kamen Weise aus dem Morgenland nach Jerusalem
Predigt des Ehrwürdigen Diener Gottes Bischof Franz Joseph Rudigier (1811-1884). Er hielt diese Predigt vor Seminaristen des Priesterseminars in Brixen am Fest der Erscheinung des Herrn, 6. Januar 1852. Im gleichen Jahr, im Dezember, wurde er zum Bischof von Linz ernannt. Wenn auch die Predigt an Seminaristen gerichtet ist, gilt ihr Inhalt jedem einzelnen Christen.
Die heiligen Männer des Morgenlandes, deren Andenken wir heute feiern, heißen im Griechischen und im Lateinischen „Magier“, im Deutschen werden sie mit dem Ausdruck „Weise“ bezeichnet.
Die Weisheit ist ein Gut, das von jedem edleren Menschen überaus hochgeschätzt wird. Salomon sagte: „Ich gab der Weisheit den Vorzug vor Königreichen und Thronen, und ich hielt den Reichtum für nichts im Vergleich mit ihr. Auch verglich ich mit ihr keinen kostbaren Stein; denn alles Gold ist gegen sie nur schlechter Sand, und das Silber gegen sie am Wert wie Lehm. Mehr als Gesundheit und Schönheit liebte ich sie.“ (Weish 7, 8-10.) So sprach Salomon, und so sprechen wohl viele mit ihm; und jedenfalls will um keinen Preis jemand als unweise, als beschränkt oder gar als töricht gelten.
Die Menschen tun auch recht, wenn sie die Weisheit so hoch anschlagen: Gott selbst legte ihr denselben, alles übersteigenden Wert bei. „Besser ist die Weisheit, als alle Kostbarkeit“, sagt er, „und alles, was gewünscht werden mag, kann mit ihr nicht verglichen werden.“ (Spr. 8, 11.) „Sie ist ein unerschöpflicher Schatz für die Menschen.“ (Weish 7, 14.)
Aber nur der wahren Weisheit legt Gott einen solchen Wert bei. Es gibt auch eine falsche Weisheit, die nur den Namen und den Schein der Weisheit trägt und von den, dem Irrtum unterworfenen Menschen, für solche gehalten wird, in der Tat aber Torheit ist. Von vielen Menschen gilt, was Paulus von den sogenannten Weisen der Heidenwelt sagt: „Indem sie sprachen, sie seien weise, sind sie töricht geworden.“ Die falsche Weisheit ist ein ebenso großes Übel, als die wahre Weisheit ein großes Gut ist, sie ist eine Feindin Gottes, wie derselbe Apostel schreibt, und sie bringt den Menschen den Tod. (Röm 8, 7)
Die heiligen Männer des Morgenlandes heißen mit Recht „Weise“. Während anderen Magiern dieser Titel nur nach den Vorstellungen ihrer Zeit und ihres Landes, nicht aber in der Wahrheit gebührte, so gebührt er unseren Magiern in der Wahrheit, sie waren wirkliche Weise, ihre Weisheit war eine echte, würdig all des Lobes, womit Gott die Weisheit preist, würdig der Hochachtung, womit die Menschen das verehren, was sie für Weisheit halten.
Lassen Sie, meine Freunde, diese Wahrheit uns zum Gegenstand unserer kurzen Betrachtung wählen; lassen Sie uns erwägen, dass die Weisen des Morgenlandes wirklich weise waren.
Wenn die wahre Weisheit ein so großes Gut und die falsche ein so großes Übel ist, so gilt dieses ganz besonders bei dem Priester, der seinem göttlichen Beruf zufolge ein Weiser in dem wahrsten Sinne des Wortes und in einem vorzüglichen Grad sein soll. „Siehe, ich sende Weise zu euch“, spricht der Herr von seinen Gesandten. (Mt 23, 34.) Es müssen also vornehmlich die Priester, die wirklichen und die angehenden, von den Weisen des Morgenlands Weisheit lernen. Ich rede im Namen Jesu.
Worin besteht denn die wahre Weisheit eines Menschen? Wir müssen uns diese Frage zuerst stellen, um einen Maßstab zu gewinnen, an dem wir das Benehmen der morgenländischen Weisen beurteilen können.
Es gibt eine ewige Weisheit, eine Weisheit, welche die höchste und zugleich einzig wesenhafte Weisheit ist. Diese Weisheit ist Gott der Dreieinige: Gott, der Vater, der Vater der Lichter (Jak 1, 17.) Gott, der Sohn, das wahre Licht, (Joh 1, 9.) Derjenige, in welchem alle Schätze der Weisheit und Wissenschaft verborgen sind; (Kol 2, 3) Gott der Heilige Geist, der Geist der Weisheit, der Geist, welcher alles durchforscht, auch die Tiefen der Gottheit. (1Kor 2, 10.) Gott ist die höchste Weisheit. „O Tiefe des Reichtums der Weisheit und Erkenntnis Gottes!“ (Röm 11, 33) ruft der Apostel aus, indem er bei Betrachtung dieser Weisheit sich in anbetende Bewunderung versenkt. „Seiner Weisheit ist kein Maß“, spricht der Psalmist. (Ps 146, 5) Und Gott ist zugleich die einzige wesenhafte Weisheit. Er ist nicht nur der Weiseste unter den Weisen, sondern in und aus sich auch der einzige Weise. Der Apostel spricht ja: „Dem allein Weisen … Gott sei Ehre und Herrlichkeit.“ (Röm 16, 27)
Wenn dem so ist, wenn Gott die höchste und zugleich einzige wesenhafte Weisheit ist, so kann der Mensch nur weise sein, wenn und insofern er an dieser ewigen Weisheit teilnimmt; wer aber an dieser ewigen Weisheit teilnimmt, muss auch wahrhaft weise sein.
Damit der Mensch an ihr teilnehmen könne, bietet diese sich ihm an – „es ist ihre Lust bei den Menschenkindern zu sein“; (Spr 8, 31) aber sie drängt sich ihm nicht auf; damit er also wirklich an ihr teilnehme, so muss er durch freiwillige Selbstbestimmung sich an sie hingeben; „sie wird leicht gesehen von denen, die sie lieben und wird gefunden von denen, die sie suchen“. (Weish 6, 13) Hingabe seiner selbst an Gott ist also zuletzt des Menschen Weisheit; je inniger und unbedingter diese Hingabe ist, desto größer ist seine Weisheit, sowie umgekehrt die Weisheit von einem Menschen desto ferner ist, je gottloser er ist, je weniger er sich an Gott hingibt; ein solcher ist ein Tor, und könnte er auch die Sprachen der Menschen und Engel reden, und wüsste er auch zu reden von der Zeder, die auf dem Libanon ist bis zum Hyssop, der aus der Wand wächst: kurz, er ist genau in dem Grad ein Tor, als er von Gott abgewendet ist. – Also des Menschen wahre Weisheit ist die Hingabe an Gott, die ewige Weisheit. „Mein Sohn,“ spricht die ewige Weisheit selbst, „wenn du auf mich achthaben willst, so wirst du lernen, und wenn du dein Herz mir zuwenden willst, wirst du weise sein.“ (Eccl. 6, 33)
Wenn aber dieses der echte Begriff der menschlichen Weisheit ist, so ist es unschwer einzusehen, dass unsere morgenländischen Weisen wirkliche Weise waren. Denn welch eine innige Hingabe an Gott nehmen wir an denselben wahr! Es erscheint ihnen um die Zeit, da Christus geboren wurde, in dem fernen Morgenland, wahrscheinlich in Arabien oder am Euphrat, ein Stern ungewöhnlicher Art, und eine innere Erleuchtung sagt ihnen, dass dieser Stern die Geburt des Königs der Juden, des von der Welt lange erwarteten Heilands, anzeige. Gott offenbart ihnen also die Geburt Seines Sohnes. Wie aber unterwerfen sie ihren Verstand dieser Offenbarung? „Ist es doch etwas Ungewöhnliches, dass Gott durch Sterne rede; wie vieles hat man schon aus den Sternen zu lesen geglaubt, was in denselben nicht geschrieben stand! Andere Sternkundige haben vielleicht dieselbe Erscheinung am Himmel gesehen, und sie keiner Beachtung wert gefunden; oder sie haben sie nicht gesehen, und dann war auch unser Sehen nur ein vermeintliches!“ Dieses und dergleichen vieles konnte ihnen in den Sinn kommen, zumal der Mensch seit dem Tag, als Eva zweifelte, zum Zweifel so geneigt ist; und hätten sie dergleichen Bedenken Raum gegeben, so würde der Zweifel, ob dieses der Stern des neugeborenen Königs der Juden sein, von Tag zu Tag größer geworden sein, bis er dem entschiedenen Unglauben Platz gemacht hätte, umso mehr als sie, wenn sie nicht unverzüglich abgereist wären, wie Chrysostomus sagt, den Stern nie mehr gesehen haben würden. (Hom. 8, in Matth.) Doch unsere Weisen erkennen in diesem Stern den Stern des Heilands; sie verwerfen mit Entschiedenheit alle Regungen der Zweifelsucht, sie unterwerfen ihren Verstand dem sich ihnen offenbarenden Gott; sie sagen: „Wir haben Seinen Stern gesehen.“
Aber noch härtere Prüfungen des Glaubens warteten ihrer. Sie kommen, um den neugeborenen König der Juden anzubeten, in das Land der Juden, und hier weiß niemand etwas von einem neugeborenen König der Juden; ja Jerusalem scheint gar keinen solchen mehr zu hoffen; es erschrickt, da es von einem neugeborenen König der Juden hört. Die Priester finden zwar die Prophezeiung in den heiligen Büchern, dass der Heiland zu Bethlehem sollte geboren werden, allein was haben denn zuletzt diese Bücher selbst für einen Wert? Die Priester selbst bewegen keinen Fuß, um nach Bethlehem zu gehen. Beweis genug, dass sie selbst nicht an die Prophezeiung glauben oder doch die Zeit ihrer Erfüllung noch nicht vorhanden glauben. Doch unsere Weisen lassen sich nicht irre machen, sie sagen: Wir haben Seinen Stern gesehen, und glauben mit unwandelbarer Beharrlichkeit, dass der Heiland geboren sei. Sie erheben sich über die Ärgernisse, die ihnen von den Menschen gegeben werden.
Und nun kommen sie nach Bethlehem, und der Stern steht still über einer elenden Wohnung. Vielleicht war es noch der Stall, die Geburtsstätte des Heilands, wo er stillstand; und sie finden das Kind, es ist ein schwaches Menschenkind; ärmliche Windeln sind Sein Kleid, die Krippe ist Sein Bett, eine arme Mutter Seine Umgebung; das sollte der neugeborene König der Juden – der König und Heiland der Welt sein! Die unwissenden Hirten bei Bethlehem mochten das glauben, aber wer sollte es den hochgebildeten, fürstlichen Weisen des Morgenlandes zumuten, das zu glauben? – Doch sie glaubten es. Sie haben Seinen Stern gesehen, und nun ärgern sie sich nicht an der Niedrigkeit des gefundenen Kindes, wie sie sich an Jerusalem und seiner Priesterschaft auch nicht geärgert haben, sie unterwerfen demutsvoll Gott ihren Verstand - sie glauben. „Was beginnt ihr, ihr Weisen“, ruft ihnen Bernhard zu, „ein kleines armes Kind betet ihr an, in einer geringen Hütte, in schlechten Windeln? Ist er Gott? Gott ist ja in Seinem heiligen Tempel; Gott hat Seinen Wohnsitz im Himmel, und ihr sucht Ihn in einem Stall, auf dem Schoß der Mutter? Was beginnet ihr, dass ihr Gold darbringt? Ist der ein König? Wo ist die königliche Burg, wo der Thron, wo der Hofstaat? Ist der Stall eine Burg, die Krippe ein Thron, Josef und Maria ein Hofstaat? Wie sind die weisen Männer so töricht geworden, dass sie ein Knäblein, verächtlich wegen seines Alters und wegen der Armut der Seinigen, anbeten mögen?“ – „Ja sie sind töricht geworden, um weise zu werden“ setzt er hinzu; „der Heilige Geist hat sie schon im Voraus gelehrt, was nachher der Apostel (1 Kor 3, 18) predigte: „Wer weise sein will, muss töricht werden, um weise zu sein.“ (Serm. 1 in Epiph.)
Aber das ist nicht die ganze Weisheit, dass der Mensch seinen Verstand Gott durch den Glauben unterwirft. Der Glaube ist zwar wesentlich notwendig zur wahren Weisheit, aber allein nicht hinreichend. Jesus nennt auch denjenigen einen Toren, der Seine Worte hört, aber nicht beobachtet und nur denjenigen weise, der sie hört und beobachtet. Zur wahren Weisheit ist ebenso notwendig die Liebe, wie der Glaube, ebenso notwendig die Hingabe des Herzens, wie die des Verstandes. „Die Liebe Gottes ist die ehrwürdige Weisheit,“ spricht der weise Mann. (Eccl. 1, 14.) „Siehe, die Furcht des Herrn, das ist Weisheit, und das Böse meiden, das ist Verstand“, heisst es im Buch Job (28, 28.); „Die Weisheit, die von oben ist, ist zuvörderst rein, dann friedsam, bescheiden, nachgiebig, dem Guten hold, voll Barmherzigkeit und guter Früchte, richtet und heuchelt nicht“, sagt der Apostel Jakobus. (Jak 3, 17)
Unsere Weisen haben aber ebenso ihr Herz an Gott hingegeben, wie ihren Verstand. Da sie den Stern des Heilands im Glauben erkennen, so machen sie sich alsogleich auf, den Heiland zu suchen, und da sie Ihn finden, siehe, da werfen sie sich nieder und beten Ihn an. Sie sind groß unter den Menschen, aber vor diesem Kind fühlen sie sich unendlich klein; - darum werfen sie sich nieder und beten Ihn an. Das kleine Kind erkennen sie als unendlich groß, darum beten sie es an, sie bekennen Seine Macht und Herrlichkeit, und bekennen ihre vollständige Abhängigkeit von Ihm. Und diesen Gesinnungen des Herzens geben sie einen angemessenen Ausdruck, indem sie dem Kind Opfer bringen; sie opfern Gold und huldigen in dieser Weise dem Kind als ihrem König; sie opfern Weihrauch, und huldigen Ihm dadurch als ihrem Gott; sie opfern Myrrhe, und verehren dadurch Seine menschliche Natur, die es angenommen, um für die Menschen sterben zu können. Und da sie vom Himmel einen Wink bekommen, dass sie nicht zu Herodes zurückkehren sollten, so gehorchen sie; sie gehen auf einem anderen Weg in ihre Heimat zurück. So opfern sie Gott ihr ganzes Herz.
Meine Freunde!
Ahmen wir diese Weisen nach. Sie waren wirkliche Weise, werden wir es auch. Wir sollen es ja, ich sage es noch einmal, als künftige Priester in einem vorzüglichen Grad sein. Wenn ein Blinder einen Blinden führt, so fallen beide in die Grube. (Mt 15, 1.) Wehe uns, wenn dieses an uns wahr werden sollte! – Die heiligen Männer des Morgenlandes waren weise, indem sie sich gänzlich an Gott, die ewige Weisheit hingaben. Werden wir auch in dieser Art weise. Jeder Christ muss in dieser Art weise werden, besonders aber der Priester. Auf alle Priester sollen die Worte passen, mit denen das Konzil von Jerusalem den heiligen Paulus und Barnabas bezeichnet hat: Das sind Männer, die ihr Leben eingesetzt haben für den Namen unseres Herrn Jesus Christus. (Apg 15, 26) Ja, geben wir unsere Seelen hin für den Namen Unseres Herrn Jesus Christus, und zwar durch einen recht entschiedenen Glauben – oder wenn Ärgernisse von Seiten anderer Menschen, besonders sogenannter Gebildeter, oder gar von Seite der Priester uns irre machen wollen in unseren religiösen Überzeugungen; oder wenn die Niedrigkeit des Herrn in Seinem Leben, in Seiner Lehre, in den Schicksalen Seiner Kirche uns zum Anstoß gereichen will, jagen wir nur auch standhaft mit den Weisen; Wir haben Seinen Stern gesehen – lassen wir uns nicht verführen! Dieser Stern, der bisweilen vielleicht zu erblassen scheint, er wird hellglänzend wieder vor unseren Augen stehen, wenn wir nur festhalten, dass er in unserer Religion uns aufgegangen sei. „Denn Himmel und Erde werden vergehen, aber Meine Worte werden nicht vergehen.“ (Mt 24, 3.) Darum rufe ich Ihnen zu wie Paulus seinem Timotheus: O, wandle stets im Glauben, und bekenne den Herrn frank und frei vor der ganzen Welt! (Tim 9,20) Ein Priester ohne Glauben – welch ein Ungeheuer!
Aber auch handeln müssen wir nach diesem Glauben, um weise zu sein. So folgen wir denn überall und immer dem Zuge des Glaubenssternes, gleich den Weisen des Morgenlandes, und beten wir demütigst den Urheber und Vollender unseres Glaubens an, und bringen wir ihm auch Opfer dar, opfern wir Ihm uns selbst, besonders etwa das an uns, was sich am Schwersten will opfern lassen, was sich am meisten behaupten will gegen den Herrn, und achten wir auf allen unseren Lebenswegen auf Seine Winke. So werden wir Menschen sein, die ihre Seelen geopfert haben für den Namen unseres Herrn Jeus Christus, und werden eben deswegen wahrhaft weise Menschen sein.
Der Herr gebe es, dass wir es werden und bleiben. Amen.