Wie der kranke Vogel geheilt wurde
Wie der kranke Vogel geheilt wurde - von Karl Heinrich Waggerl (1897-1973)
Anfangs kam nur geringes Volk aus der Stadt heraus zum Stall, sogar etliches Gesindel darunter, wie es sich immer einfindet, wenn viele Menschen zusammenlaufen, aber vor allem auch Arme und Kranke, die Blinden und die Aussätzigen. Sie knieten vor dem Knaben und verneigten sich und baten inbrüstig, dass er sie heilen möchte. Vielen wurde auch wirklich geholfen, durch Wundermacht und durch die Kraft ihres Glaubens.
Lange Zeit stand auch ein kleines Mädchen unter dem Leutehaufen vor der Tür und konnte sich nicht durchzwängen. Die Mutter Maria rief es endlich an. „Komm herein!“ sagte sie. „Was hast du da in deiner Schürze?“ Das Mädchen nahm die Zipfel aus einander und da hockte nun ein Vogel in dem Tuch, verschreckt und zerzaust, ein ganz kleiner Vogel. „Schau ihn an“, sagte das Mädchen zum Christkind, „ich habe ihn den Buben weggenommen und dann wollte ihn auch noch die Katze fressen. Kannst du ihn nicht wieder gesund machen? Wenn ich dir meine Puppe dafür gebe?“ Ach, die Puppe! Es war ja trotzdem eine arg schwierige Sache. Auch der Heilige Josef kratzte sich den kahlen Schädel, sonst ein umsichtiger Mann, und die Bresthaften in ihrem Elend standen rund herum und alle starrten auf den halbtoten Vogel in der Schürze. Hatte etwa auch er eine gläubige Seele?
Das wohl kaum. Aber seht, das Himmelskind wusste selber noch nicht so genau Bescheid und deshalb blickte es einmal schnell nach oben, wo die kleinen Engel im Gebälk saßen. Die flogen auch gleich herab, um zu helfen, Vögel waren ja ihre liebsten Gefährten unter dem Himmel. Nun glätteten sie dem Kranken das Gefieder und säuberten ihn, sie renkten den Flügel sorgsam ein und stellten ihm auch den Schwanz wieder auf, denn was ist ein Vogel ohne Schwanz, ein jämmerliches Ding.
Von all dem merkten die Leute natürlich nichts, sie sahen nur, wie sich die Federn des Vogels allmählich legten, wie er den Schnabel aufriss und ein bisschen zu zwitschern versuchte. Und plötzlich hob er auch schon die Flügel, mit einem seligen Schrei schwang er sich über die Köpfe weg ins Blaue. Da staunte die Menge und lobte Gott um dieses Wunder willen. Nur das kleine Mädchen stand noch immer da und hielt die Zipfel seiner Schürze offen. Es war aber nichts mehr darin außer einem golden glänzenden Federchen. Und das musste nicht eine Vogelfeder sein, das konnte auch einer von den Engeln im Eifer verloren haben.