Der falsche Humanismus der Gegenwart
Über einen grundlegenden Irrtum
Hochwürdige Mitbrüder, ehrwürdige Brüder und Schwestern im Ordensstand, liebe Gläubige, Freunde und Wohltäter!
Die im Laufe der Geschichte von Zeit zu Zeit immer wieder auftauchende Reduzierung des Christentums auf bloße Mitmenschlichkeit, welche aber besonders heute manche Kirchenvertreter oder sogenannte Theologen des 21. Jahrhunderts in neuer Verpackung sogar von Kanzeln und in Theologiehörsälen verkünden, halb dramatisch schreiend, halb süßlich gurrend, überhört die deutliche Aussage Jesu im Evangelium.
Das Hauptgebot der Liebe (Mt 22, 24-40) fordert die direkte Gottesliebe und alle, die behaupten, dass die Gottesliebe uns nur vom Mitmenschen her begegnet und dass auch umgekehrt Gott nur im Mitmenschen geliebt werden kann, identifizieren Gott mit dem Geschöpf, sie setzen das Absolute dem Relativen und das Unbedingte dem Bedingten gleich, sie überführen die Theologie, die Wissenschaft von Gott, in eine platte Anthropologie, die Wissenschaft vom Menschen und lassen die Theologie schließlich in einem verborgenen Sinn atheistisch werden. Die protegierten Theologen der letzten Jahre, die derzeit auch die höchsten Ämter in der römischen Kurie besetzen, wären hier zu nennen.
Das Wort Humanismus steht heute bei den verschiedensten ideologischen Vertretern hoch im Kurs, aber seine Mehrdeutigkeit springt in die Augen. Denn es hängt vom Menschenbild derjenigen ab, die dieses Wort Humanismus laut wiederholen.
Der Katholik darf kein Humanist dieser Art sein
Ein echtes katholisches Leben, die Beziehung unsererseits zum dreifaltigen Gott, der Mensch geworden ist, schließt logischerweise "Humanismus" ein. Grundsätzlich und historisch betrachtet, ist der Begriff Humanismus problematisch, von Anfang an missbraucht. Vor allem müssen wir als Katholiken betonen: Wenn dieser Humanismus die Souveränität und die Transzendenz Gottes ablehnt und das Geschöpf und dessen Werte verabsolutiert, wenn dieser Humanismus nichts anderes sieht als eine Arbeitskraft, die nur zu leisten hätte und eine jenseitige Bestimmung zugunsten eines illusorischen Paradieses auf Erden, dann darf der Katholik kein Humanist dieser Art sein und sich von Schlagworten nicht betören lassen. Eine alte Idee, die eines, eben falschen Humanismus wird in unseren Tagen wieder mit aller Kraft durchgesetzt: Ich nenne nur den Kulturmarximus unserer Tage, der das ganze öffentliche Leben und die Welt der Medien dominiert und dann vor allem die gottlose Gender-Ideologie.
Der Katholik soll sich allem zuvor um die Erfüllung des ersten und größten Gebotes kümmern und Gott zu lieben versuchen aus ganzer Seele, aus ganzem Herzen, mit allen Kräften. Der, der das versucht, wird dann mit den Heiligen der Geschichte erfahren und zeigen, was großherzige Nächstenliebe ist in Christus, mit Christus und durch Christus. Diese Nächstenliebe allein, die die Unendlichkeit der Gottesliebe vermittelt und übersteigt, ist den Menschen würdig, diese allein, denn sie betrifft Leib und Seele, irdisches und ewiges Schicksal, Natur und Gnade, Menschenkind und Gotteskind. Denn wer Gott liebt, diesen Gott, der sich in Christus und durch Christus den Menschen hingegeben hat, der kann diejenigen, welche die Gottesliebe umfasst, nicht ausschließen. Er wird alle Menschen ohne Ausnahme achten und lieben, auch die Sünder, auch die Irrenden, auch die Fremden, auch die Feinde. Er liebt den Nächsten nicht wegen seines gesellschaftlichen Nutzwertes, wie der herkömmliche Humanismus, und auch nicht wegen seiner Hochstellung in der Naturwirklichkeit wie der idealistische Humanismus, er liebt den Nächsten als Geschöpf Gottes, jeweils einmaliges Werk Gottes, als Abbild Gottes, jeweils ein anderes Abbild Gottes.
Jeder Mensch ist darüber hinaus von Christus durch Kreuz und Auferstehung erlöst worden. Verkürzungen, Einschränkungen und Bedingungen werden den Gottesliebhaber niemals befriedigen, denn er liebt die Welt, insofern sie die Schöpfung Gottes ist und die Menschen mit der Höhe, Länge, Tiefe und Breite des Herzens Christi selbst. Die genau feststellbare Nächstenliebe bürgt dann bei ihm für die Reinheit, die Größe und Ehrlichkeit seiner Gottesliebe. Und diese ist die schwere Frage, die ein jeder von uns sich jeden Tag stellen sollte: Liebst du Gott aus ganzem Herzen? Die Antwort auf diese Frage wird nicht von unseren Gefühlen und auch nicht von unseren Andachten allein herkommen, sondern und hauptsächlich von den Werken der Liebe, die ein jeder von uns täglich in kleinen und großen Dingen dem unmittelbar Nächsten widmet.
Nicht Romantiker und Moralisten, sondern Anbeter des Vaters im Geist und in der Wahrheit
Wie Christus einmal der Samariterin beim berühmten Jakobsbrunnen erklärte, sucht Gott auf dieser Welt nicht Romantiker und Moralisten, er sucht Anbeter des Vaters im Geist und in der Wahrheit. Und von diesen Anbetern Gottes allein können wir uns die selbstloseste Nächstenliebe erwarten, welche die einzelnen und die ganze Menschheit ein bisschen glücklicher und besser machen wird.
Es ist sehr schwer, sich zu retten, wenn man andere nicht gerettet hat. Denn es ist unmöglich, Gott zu lieben, ohne die Menschen ohne Unterschied von den Personen zu lieben.
Hüten wir uns vor den Rittern der traurigen Gestalt
Diese zwei ersten Gebote fassen das ganze Gesetz und alle Propheten zusammen, wie Jesus sagte. Säen wir ohne Unterlaß, aber auch ohne zu belästigen, ohne über alle zu murren, denn es gibt viel zu viele, die glauben, das Gute zu tun, weil sie überkritisch sind, niemanden in Ruhe lassen, alle unaufhörlich tadeln und zurechtweisen, Irrtümer und Sünden überall entdecken.
Diese Ritter der traurigen Gestalt, waren und sind niemals echte Freunde Gottes, weil die wahren, echten Freunde Gottes immer auch Freunde der Menschen gewesen sind, und wer Menschen wirklich liebt, wer die Ordnung der Liebe einhält, der weiß ihnen zu verzeihen, er richtet sie nicht und noch weniger kritisiert und erbittert er sie, sondern er bemüht sich, zu verstehen, zu entschuldigen und ihnen Mut zu machen zum Guten, zum Besten.
Der Weg der Nächstenliebe ist niemals Gleichgültgkeit
Ausdruck jeder wahren Liebe ist es, Verständnis zu haben und das ist beinahe immer der erste Schritt auf dem Weg der Nächstenliebe. Das aber bedeutet nicht Gleichgültigkeit. Liebe den Menschen, hasse die Sünde! Weder liebe wegen des Menschen die Sünde, noch hasse wegen der Sünde den Menschen. (Epist. 153) Der wahre Christ liebt den Sünder und hasst die Sünde - wie der hl. Kirchenvater Augustinus es so treffend formuliert hat - und zwar so sehr, dass es ihm gelingt, den Sünder von der Sünde zu befreien. Falsche Jünger des Herrn führen nur Kriege, greifen die Nächsten öffentlich an, verfolgen sogar Irrende und Schwache, sie lieben sie nicht und sie sperren sie in ihrem heillosen Gefängnis ein, das sie sich selbst errichtet haben.
Unser ganzes Leben soll dagegen immer ein Säen des Guten sein, immer demütig und sanftmütig, eher leise und immer lächelnd. Das ist echtes Christentum, das auch anziehend ist, ohne fanatische Töne, ohne Schaustellung von Absonderlichkeiten, glücklich in der Gegenwart Gottes und ohne Eitelkeit, tut das Gute, fördert das Wahre und Schöne, bittet um Gnade für sich und für die anderen und empfängt sie.
Dass ein guter Teil der Samenkörner keine Frucht bringt, weil viele Herzen voll von Lärm wie Straßen oder wie steinige Äcker und dornig wie Disteln sind, erschüttert die Geduld dessen nicht, der das Wort der Wahrheit in Liebe verbreitet. Denn auch die Predigt Jesu wurde von vielen überhört, aber gewiss wird immer etwas Wurzeln fassen und hundertfach, sechzig- oder dreißigfach reifen.
Nehmen wir Abstand vom falschen Humanismus, dazu gehört auch, dass wir den Hausverstand nicht ausschalten, uns nicht von den Gefühlen leiten lassen, sondern als gestandene katholische Männer oder echte katholische Frauen ohne weltfremde Absonderlichkeiten Verstand und freien Willen zur Entfaltung bringen.
Seien wir immer treu unserer Berufung und säen wir weiter bis zum letzten Atemzug unseres Lebens!
Mit meinem priesterlichen Segen,
P. Johannes Regele
Jaidhof, am 1. September 2023