Die Legende vom Markgrafen Heinrich von Mähren und König Ludwig von Ungarn

Quelle: Distrikt Österreich

Relief über dem Hauptportal der Basilika von Mariazell

Stand am Anfang der Mariazeller Geschichte ein Mönch, also eine gottgeweihte Person, so folgen diesem gleich zwei Mächtige dieser Welt: ein Markgraf und ein König benachbarter Länder. Wir sehen ihre Statuen vor dem Tore der jetzigen Wallfahrtskirche. Noch genauer sind sie dargestellt in dem Steinbild über dem Hauptportal, das aus dem Jahre 1437 stammt.

 Wir sehen dort in der Mitte die Muttergottes thronen, in der rechten Hand das Jesukind, in der linken das Zepter. Sie erscheint also als Himmelskönigin. Rechts und links von ihr stehen zwei Engel, die ihr den Mantel halten, unter dem sich schutzflehend Vertreter der verschiedenen Stände bergen. Ihre Hingabe und ihr Vertrauen zur Gottesmutter wirkt ergreifend auf den Beschauer. Links kniet der mährische Markgraf mit seiner Frau und hinter ihnen steht der heilige Wenzel, König von Böhmen, der sie mit dem ausgestreckten Finger zur Mariazeller Mutter hinweist. Auf der andern Seite kniet König Ludwig von Ungarn und hält ein Muttergottesbild in der Hand. Eine Inschrift sagt dazu folgendes: „Der hl. Wenzel schickt den Markgrafen von Mähren und seine Gemahlin, die lange Zeit von Gicht gepeinigt waren, zur Heilung.“

Die Legende weiß noch mehr zu erzählen: „Markgraf Heinrich von Mähren und seine Gattin litten so schwer an Gicht, dass sie bettlägerig waren. In derselben Nacht träumte beiden von dem heiligen König der Böhmen, Wenzel, der sie aufforderte, sich an Maria zu wenden. Würde ihnen die Gesundheit wiedergeschenkt, dann mögen sie nach Mariazell pilgern und dort eine Kirche erbauen lassen. Als sie erwachten, erzählten sie einander den Traum und gelobten, das Verlangte auszuführen. Sie wurden auch tatsächlich gesund und machten sich, nachdem sie drei Jahre krank gewesen waren, auf die Reise. Der Weg war sehr schwer zu finden; niemand wusste, wo Mariazell lag. So kamen die beiden königlichen Pilger einmal vom rechten Wege ab. Da erschien ihnen der heilige Wenzel wie ein Schutzengel und zeigte ihnen den Weg. In Mariazell dankten sie Gott und der Lieben Frau innig für ihre Genesung und gaben die Anweisung und das Geld für den Kirchenbau.“ 

Bis in die jüngste Zeit herauf kamen jedes Jahr viele Pilger aus Böhmen und Mähren nach Mariazell. Zur Erinnerung daran, daß der heilige Wenzel selbst den Weg gewiesen hatte, zog in diesen Prozessionen jedesmal ein Knabe mit, der wie ein Engel gekleidet war. Es gibt auch einen ganz plausiblen Grund, wie das mährische Herzogspaar auf Mariazell verfallen ist. Markgraf Heinrich war nämlich mit Agnes verheiratet, einer nahen Verwandten des Herzogs Heinrich von Kärnten, der die Abtei St. Lambrecht gebaut hat. So hat sie Mariazell wenigstens dem Namen nach gekannt, und es wundert uns nicht, dass sie die Wallfahrt in ihre Heimat gelobt hat. Etwas anderes ist es natürlich, dass das Markgrafenpaar durch die Muttergottes geheilt worden ist.

Auf der anderen Seite des Steinbildes ist der ungarische König Ludwig I. dargestellt. Hinter ihm sehen wir einen Kampf zwischen Türken und Ungarn. Die Legende berichtet uns darüber: „König Ludwig von Ungarn zog mit viel Reitern und Fußvolk den Türken entgegen, als diese nahten, um sein Land zu verwüsten und zu unterwerfen, Da er aber bald erkannte, dass er gegen eine mehr als doppelte Übermacht zu kämpfen hätte, bekam er Angst und beschloss, zu fliehen. Da nun erschien ihm im Traum die heilige Jungfrau Maria und ermutigte ihn mit ihrem Bilde, das sie ihm auf die Brust gelegt hatte, den Feind anzugreifen. Als er erwachte, fand er tatsächlich das Bild auf seiner Brust, und verkündete glücklich dem ganzen Heer das Wunder. Darauf errangen die Ungarn tatsächlich den Sieg. König Ludwig zog nun mit seinem ganzen Heere nach Mariazell und opferte außer dem kostbaren Bild eine Reliquientafel, die er um den Hals zu tragen pflegte, Kelch, Patene, heilige Gewänder und andere Wertgegenstände.“ In der Legende wird erwähnt, dass dem König Ludwig der Gnadenort Mariazell schon vorher vom Hörensagen bekannt gewesen war.

Die Ungarn haben sich als treue Nachfolger ihres Königs in der Verehrung der Muttergottes von Mariazell gezeigt, denn bis in die Gegenwart kommen jährlich Prozessionen von Ungarn nach Mariazell.

Wir wollen nicht versuchen, den geschichtlichen Kern von der legendären Ausschmückung zu trennen. Wir müssen bedenken, dass die damaligen Herrscher nicht nur politische Machthaber, sondern als von Gott eingesetzte Herrscher Repräsentanten des ganzen Volkes waren. Mit ihrem persönlichen Schicksal war das Wohl und Wehe des ganzen Reiches innig verbunden. So war die Krankheit des mährischen Markgrafen ein nationales Unglück und seine wunderbare Genesung eine Heilstat für das ganze Volk. Abgesehen davon wirkte natürlich das Vorbild der Mächtigen stark auf die Untertanen. Die persönlichen Entschlüsse des Königs wurden in Zusammenhang gebracht mit dem Gnadenwirken Gottes, da er die Könige und ihre Völker nach seinem Willen lenke. Das Gelübde des Herrschers verpflichtete das ganze Volk.

Dieses Denken ist uns verlorengegangen. Es gibt keine Könige mehr, keine Träger geheimnisvoller Mächte, die im Auftrag Gottes aus ihrem eigenen Gewissen die Völker regieren. Mit dem Zerfall der Religion haben sich auch die Monarchien nicht mehr halten können. Sie sind nur unter der Voraussetzung eines gläubigen Volkes sinnvoll und möglich. Das Christentum hat sich für keine Staatsform festgelegt; die christlichen Grundsätze gelten für jede Staatsform. Jenes Volk wird von Gott gesegnet sein, das seine nationalen Entschlüsse und Handlungen, das sein Wohl und Wehe vom Willen Gottes abhängig macht. Nichts war unheilvoller für das Schicksal des modernen Menschen als die Trennung von Kirche und Staat, die Scheidung von religiösem und weltlichem Bereich. Das soll nicht heißen, es sei wünschenswert, dass die Priester über das Volk herrschen sollen. Aber es soll heißen, dass Gott als der oberste Herr eines jeden Volkes anerkannt wird und dass sich jedes Volk den Geboten Gottes verpflichtet fühlt und unterordnet. Ein gottloser Staat wird sich immer in blutigen Revolutionen zerfleischen, gottlose Völker werden sich in furchtbaren Kriegen gegenseitig vernichten. Gewiss hat es auch früher unter den christlichen Königen und Reichen Kriege gegeben, das liegt in dem zum Bösen geneigten Sinn des erbsündigen Menschen begründet. Aber niemals ist es zu einer so übermächtigen Gefahr der totalen Vernichtung gekommen wie in unserer Zeit. (Anm.: Das Buch wurde im Jahr 1952 geschrieben!).

Wenn wir in diesen beiden Herrscherlegenden eine ewige Wahrheit erschauen wollen, dann diese, dass sich nicht nur der Einzelne unter den Schutz Gottes und der heiligen Maria stellen soll, sondern dass auch die Gemeinschaft, der Staat als solcher, das Gleiche tun muss. Ohne Gott, ohne die einigenden Kräfte Mariens kann kein Reich bestehen, zumindesten jetzt nicht mehr, in den Jahrtausenden nach dem Erscheinen Christi. Möge über und nach dem Zusammenbruch aller diesseitigen Bestrebungen, Gesellschaft und Staat zu organisieren, erkannt werden, dass wir ohne die Grundsätze des Glaubens nicht in Gemeinschaft leben können. So wie zu der Zeit dieser beiden christlichen Herrscher müssen auch die modernen Herren der Welt sich unter Gott beugen und bedenken, dass sie nur durch den Glauben ein Recht auf die Herrschaft und zugleich die innere Macht über die Untertanen haben.

Und noch etwas anderes ist wichtig, um die Ursprünge der Wallfahrt zu begreifen. Es wird uns ebenfalls in der Bildplastik über dem Haupteingang gezeigt. Wir sehen auf der rechten Seite vom Beschauer aus einen Mönch, der ein Buch auf dem Schoß hält und mit der Hand den Segen gibt. Vor ihm liegt eine Frau, der Leib eines Kindes mit abgetrenntem Kopf und ein Messer. Darüber sieht man mehrere Teufel, wie sie aus der Frau entweichen. Ein Engel mit erhobenem Schwert vertreibt sie. Die Inschrift, die darüber angebracht ist, lautet: „Das von einer Legion von Teufeln besessene Weib ermordet ihren eigenen Vater, Mutter und Kind, wird von den bösen Geistern nach abgelegter wahren Beicht allda befreit.“.. Durch das geschilderte Bild wird angedeutet, dass die Teufel und die Dämonen die großen Widersacher Mariens sind. So wie sie die Menschen, ihre Kinder, heilt und schützt, so bedrohen auf der anderen Seite die bösen Geister ebendieselben Menschen, suchen sich ihrer zu bemächtigen und sie mit Leib und Seele zugrunde zu richten. Wir neigen heute der Auffassung zu, die Dämonen seien schon längst gebannt und nicht mehr zu fürchten. Aber gerade das scheint ihr größter Trick und Triumph zu sein, dass man ihre Werke und Untaten nicht erkennt und sie selber, ihre furchtbare Existenz, überhaupt leugnet. Satan mit seinen Helfern ist noch immer auf der Lauer, machtvoller denn je lebt und wirkt er weiter; so wie das Reich Gottes sich um Christus und Maria ausbreitet und wächst, so arbeitet der Satan am Aufbau seines Reiches. In immer neuen Formen sucht er es auszubreiten. Heutzutage erringt er seine grauenhaften Siege, indem er sich und seine Existenz verleugnen lässt. Die Formen, die sein Reich in unserer Zeit annimmt, sind wahrhaft furchterregend. Es zeigt sich, dass wir es mit keinem dummen Teufel, sondern mit einem sehr klugen, listigen und tückischen Geist zu tun haben. Ihm ist es gelungen, in den Herzen des modernen Menschen den Glauben an Gott lächerlich zu machen, ja weitgehend auszurotten. Neue gottfeindliche Ideen hat er in die Welt gesetzt und betört damit die Menschen, die sie wie Besessene verkünden und ausbreiten. Sie spüren gar nicht, wie sehr sie in seiner Hand sind und von ihm nur als Werkzeuge gebraucht werden.

Es wäre nicht richtig, wenn wir leugnen wollten, dass es auch eine persönliche Besessenheit gibt, obwohl sie vielleicht in alter Zeit häufiger auf trat, weil sich damals, in einer gläubigeren Zeit, der Teufel mit der Eroberung von wenigen begnügen musste, während er sich heute mehr um die Massen bemüht. Maria ist als einziges Menschenkind der Macht des Satans vollständig entrissen. Sie ist die unbefleckt Empfangene, das heißt, sie als einzige war schon an jenem Tage von der Erbsünde frei, da ihre Mutter sie vom Heiligen Geist empfing. Aber nicht nur durch ihre persönliche Heiligkeit ist sie das größte Ärgernis und Hindernis für den Teufel, sondern noch mehr steht sie ihm im Wege als Mittelpunkt und Herz des Reiches Gottes und der Kirche. Er sucht ihr Werk zu stören, wo er nur kann. Er stellt noch immer ihrer Ferse nach, wie es in dem apokalyptischen Bild heißt, und wo gesagt wird, dass sie ihm das Haupt zertritt. Wir haben keinen tieferen Einblick in die großen Zusammenhänge, nach denen die Welt- und Heilsgeschichte abrollt, aber es ist keine Frage, dass alle Ereignisse an der Oberfläche, etwa Kriege, Katastrophen und so weiter, nur Widerspiegelung eines Kampfes zwischen dem Reiche Gottes und dem der Dämonen sind. Unsere ganze moderne Welt ist von dämonischen Kräften besessen und sie verlangt dringend nach Heilung. Die mütterliche Fürbitte und helfende Kraft Mariens allein vermag uns zu befreien. So müssen wir die Taten der seligsten Jungfrau Maria auch in unseren Tagen begreifen.

6. Kapitel unserer Maiwallfahrt nach Mariazell, die Reihe wird fortgesetzt  

Quelle: "Mariazell - Das Heiligtum der Gnadenmutter Österreichs" von Franz Jantsch