Eine Wallfahrt nach Mariazell in früheren Zeiten

Quelle: Distrikt Österreich

Wie hat eine Wallfahrt in früheren Zeiten ausgesehen? Wir berichten darüber, wie sie Franz Thiel in der "Österreichischen Zeitschrift für Volkskunde" beschreibt.

Der Anlass, wie eine Wallfahrt zustande kam, waren meist Katastrophen; das eine Mal etwa eine Schwedenbelagerung, das andere Mal die Pest. Als im Jahre 1679 verschiedene Dörfer durch die Pest verwüstet wurden, verlobten sich (so lautet der alte Ausdruck) die Poysdorfer zu einer Wallfahrt zur Muttergottes nach Mariazell, damit sie von der Seuche verschont blieben. Sie wollten Buße tun und durch die Wallfahrt das Unglück für immerwährende Zeiten von der Heimat abwenden. Man versammelte sich zum Gelöbnis in der Pfarrkirche, wo ein feierlicher Gottesdienst gehalten wurde. Nach der Heiligen Kommunion gelobte man für ewige Zeiten die Wallfahrt zur Gnadenmutter. Der Dorfrichter las im Beisein der Gemeindegeschworenen den sogenannten Verbindungsbrief laut vor und beschwor vor dem Allerheiligsten, das Gelübde treu zu halten. Sollte, so wurde hinzugefügt, einmal die Gemeinde aus Bequemlichkeit die Bußfahrt unterlassen, so möge sie Gottes Strafe treffen. Die Poysdorfer ließen für Mariazell ein Votivbild malen, das jetzt noch in Mariazell hängt. Darauf sieht man den Markt inmitten seiner Felder, Weingärten und Wälder. Aus den Wolken schleudert Gottvater die Pestpfeile, doch die Muttergottes von Mariazell, der Kirchenpatron und die drei Pestheiligen Sebastian, Rochus und Rosalia bitten, dass der Markt verschont bleibe. Unter dem Bilde ist die Inschrift: „Anno 1679, da in Unterösterreich die Pest sehr grassieret, hat eine ehrsame Bürgerschaft in Poysdorf sich mit dieser Tafel und einer Prozession verlobt und ist durch die Fürbitte der heiligen Maria von dem Übel erhalten worden. 1681.“

Diese Wallfahrt trug einen ausgesprochen öffentlichen Charakter, und daher musste jedes Haus wenigstens einen Teilnehmer stellen. Die Pilger nahmen folgende Sachen mit: Brot, Geselchtes, Eier, Käse, Speck und Einbrenn, damit sie auf dem Weg Suppen kochen konnten, sowie Buchteln und Wein. Das Geld nähten sie in die Kleider ein. Aus Wäsche und Kleidern und einem zweiten Paar Schuhe machte man ein Pinkerl, aus den Lebensmitteln ein zweites. Diese Bagage wurde auf einem eigenen Wagen, der Pinkerlwagen hieß, mitgeführt. Dafür bekam der Fuhrmann von jedem 10 Kreuzer. Um das Wundwerden der Füße zu verhindern, nahm man Unschlitt (=Talg) mit. Der Bußcharakter der Wallfahrt wurde dadurch hervorgekehrt, dass man selten in Gasthäuser einkehrte. Von einer Nachbargemeinde hören wir, dass die Leute Sterz zum Essen mitnahmen. Der Vorbeter nahm unterwegs dann und wann ein Stück davon aus seinem Füata und aß, während er vorbetete.

Die Gruppe hatte ihren Anführer, den sogenannten Vorbeter, der die Wege genau kannte und die Lieder vorsang. Da damals die wenigsten Leute lesen und schreiben konnten, hatte nur er ein Gebetbuch, das er selbst ohne Noten geschrieben hatte. Zeile für Zeile wurden die Lieder von ihm vorgesungen und von den andern wiederholt. Er bestimmte die Wege und Gasthäuser, wo man einkehrte. Dafür brauchte er dem Wirt für Speise und Trank nichts zu zahlen. Er kümmerte sich um alles und sah auf Ordnung. Die Zurückgebliebenen gaben ihm Geld für Messen in Lilienfeld, Annaberg und Mariazell mit, worüber er Rechnung zu legen hatte. 

Diese Wallfahrt der Poysdorfer wurde vor oder nach der Ernte unternommen. Der Tag stand nicht von vornherein für jedes Jahr fest. Zum Abschied kamen die Pilger mit ihren Angehörigen zu einer Messe in die Heimatkirche. Unter Musik, Glockengeläute und mit Fahnen zogen sie aus und wurden von den Zurückbleibenden bis zum Zellerkreuz, wo sie Abschied nahmen, begleitet. Der Priester ging bis dorthin mit den Wallfahrern, hielt eine Ansprache, ermahnte sie und gab den Segen. Die einen zogen in die lockende Feme, die anderen sahen ihnen wehmütig nach. Auf der Erdbergerhöhe, beim Ablasskreuz, hielt die Schar, betete ein Gebet, blickte noch einmal um und zog dann weiter. Die Marschordnung war folgende: zuerst der Kreuzträger, dann die Burschen und Männer, sodann die Mädchen und Frauen.

Der Kreuzträger trug das nicht leichte Vortragskreuz oder Wallfahrerkreuz mit einem holzgeschnitzten Heiland auf einem Riemenumhang in dem sogenannten Schuh. Wenn er müde war, wurde gewechselt. In Mariazell wurde auf gemeinsame Kosten das Kreuz mit Papierblumen geschmückt. Auf dem Wege wurde sehr viel gebetet: der Rosenkranz für die Daheimgebliebenen, für die Verstorbenen, für jene, die als nächste sterben werden, für die Kranken, gegen Pest und Seuchen, zu Ehren der Dreifaltigkeit, der Pestpatrone, um gute Ernte und so weiter. Der Kreuzträger senkte das Kreuz bei jedem Marterl oder Bildstock, wo sie vorbeikamen. Wenn sie durch ein Dorf zogen, sahen ihnen die Leute zu, grüßten sie und gaben ihnen einen Gruß für die Zeller Muttergottes mit. Auf dem Wege sah man, wie die Felder und Weingärten bestellt waren, unterhielt sich während der Rast darüber und sprach auch mit Fremden. Die Poysdorfer machten kleine Raststationen in Wilfersdorf und Gaweinsthal, doch ließ der Vorbeter nicht zu, dass die Schar auseinanderlief. In Wölkersdorf nächtigten sie in Privathäusern und Scheunen. In aller Früh zogen sie weiter. Die Messe war bei den Paulanern in Wien auf der Wieden. Wenn sie aus Wien auszogen, sangen sie: „Schutzengel mein, führ uns hinein nach Mariazell zum Brunnenquell, zu der liebsten Mutter Jesu. Maria Himmelskönigin, wir ziehen nach Zell mit Freuden hin zu deinem Gnadenthrone. Zu dir, o Mutter, wir nun gehen, um Hilf und Gnade zu erflehen bei dir und deinem Sohne.“

Spät am Nachmittag zogen sie in Maria-Enzersdorf ein, wo eine Wallfahrtskirche zu „Maria, Heil der Kranken“ ist. Dabei wurde gesungen: „O Heil der Kranken, steh uns bei! Erhöre unser Bittgeschrei. Lass uns das Heil genießen. Erhör die Kranken insgemein, welche zu dir um Hilfe schreien. Lass ihnen das Heilbad zufließen. O bringe du dem Schöpfer dar, den Dank der hier vereinten Schar für alle seine Gnaden. Bleib immer unsere Schützerin, so wird uns nichts auch künftighin an Seel und Leibe schaden.“

Von Maria-Enzersdorf an zogen sie auf der sogenannten Heiligen Straße nach Mariazell weiter. Die Pilger freuten sich, dass sie nun auf schattigen Wegen weiterwandern konnten. In Heiligenkreuz verehrten sie die große Kreuzpartikel, in Alland rasteten sie zu Mittag, in Türnau blieben sie über Nacht. Am nächsten Tag feierten sie in Hainfeld die Messe. Beim Einzug in Lilienfeld sangen sie: „O große Himmelskönigin, wir ziehen heut mit Freuden hin zu deinem Gnadenthrone und bringen unsre Bitten dar bei deinem heiligen Altar vor dir und deinem Sohne.“ Nach dem Mittagessen beteten sie auf dem Kalvarienberg den Kreuzweg und wanderten nach Türnitz weiter, wo sie wieder nächtigten. Beim Morgengrauen verließen sie es wieder, um zur Messe am Annaberg zurechtzukommen. Hier küssten sie das Annabild. In Josefsberg war Mittagsrast und kurzer Segen. Am Sebastianiberg küssten sie die Partikel und eilten nach Zell. Bei dem Urlauberkreuze, der Bußsäule, rasteten sie eine Weile und richteten sich zum feierlichen Einzug her, indem sie Kleider und Schuhe reinigten. Die Mädchen zogen das weiße Bußkleid an und ließen die aufgelösten Haare über die Schultern fallen. Das Haupt schmückten sie mit einer Krone. Die Burschen banden grüne Sträußchen an den Arm. Sechs gleich große Mädchen trugen die Muttergottesstatue, Burschen und Mädchen zündeten vor Mariazell die Kerzen an. Beim zweiten Urlauberkreuz wartete der Priester mit Ministranten, Fahnenträgern und Musik, die ein vorausgeeilter Pilger verständigt hatte. Der Priester besprengte sie mit Weihwasser und zog mit ihnen unter Musik und Gesang in Zell ein. Die Marktbewohner winkten ihnen zum Gruße zu. Meist zog die Schar, zuerst einmal um die Kirche herum und dann in der Kirche noch einmal um die Gnadenkapelle, bevor sie vor dem wunderbaren Bilde die Andacht hielt. Hernach suchte man die Nachtquartiere auf. Sie blieben zwei Tage in Mariazell und verrichteten die verschiedenen Andachten und Übungen, alle gemeinsam mit dem Vorbeter: Generalbeichte, Besuch der Bußsäule und der fünf Kapellen, wo drei Vaterunser und der Glaube gebetet wurden, Kalvarienberg, die Bründlkirche, wo man sich die Augen wusch, trank und eine Flasche Wasser mit nach Hause nahm, Leidenskapelle, Schatzkammer, Kripperl und andere Sehenswürdigkeiten. Eingekauft wurden Kerzen, Gnadenbilder und Reiseandenken. Die Schar kaufte auf gemeinsame Rechnung drei Bilder zum Umhängen, eines für den Vorbeter, eines für den Heimatpfarrer, das man ihm umhängte, wenn er der Schar zum Empfang entgegenkam, und ein kleineres für den Kreuzträger. Hauptsächlich wurden Rosenkränze gekauft. Am Abend war eine Lichterprozession, der sogenannte Kerzlumgang um die Kirche, wobei gesungen wurde: „Verehrer Mariens, versammelt euch hier und rufet heut wieder mit Freuden mit mir. Der Tag ist vergangen, die Nacht ist schon hier, o Jesus, Maria, bleibt immer bei mir."

Zeitlich am Morgen war Messe, dann Auszug. Der Priester ging bis zum ersten Urlauberkreuz mit und gab ihnen dann den Reisesegen. Beim zweiten Urlauberkreuz verabschiedeten sich die Wallfahrer von Zell. In der Heimat kamen Kinder und Erwachsene täglich am Abend beim Zellerkreuz während der Abwesenheit der Pilger zusammen und beteten gemeinsam den Rosenkranz und nahmen so im Geiste an der Wallfahrt teil. Ein Wallfahrer, der vorausgelaufen war, kündigte die Ankunft der Zellerschar an. Nun wurde das Zellerkreuz mit Kranz und Blumen geschmückt und die Kinder nahmen Blumensträuße zur Begrüßung der Angehörigen in die Hand. Priester, Ministranten, Fahnenträger und Musik zogen zum Zellerkreuz, um die Heimkehrer zu empfangen. Bei ihrer Ankunft küsste ein weißgekleidetes Mädchen dem Pfarrer die Hand und hängte ihm das Zellerbild um den Hals mit den Worten: „Einen schönen Gruß von der Muttergottes aus Mariazell.“ Die Kinder gaben den Heimkehrern die Blumen und erhielten dafür jedes ein kleines Umhängebild. Nun schritt die Prozession unter Glockengeläute zur Kirche, wo ein Segen abgehalten wurde. Die mitgebrachten Bildchen aus Mariazell, die in damaliger Zeit ungleich schöner und kunstvoller waren als unsere, bewahrte man gut auf und legte sie den Toten in den Sarg.

Wenn wir den Bericht über eine alte Zellerfahrt lesen, dann bekommen wir förmlich Heimweh danach und wir wünschen uns, einmal mit einer Kreuzschar durch die Heimat gezogen zu sein zum großen Gnadenthron in Zell. Und wir werden ehrfürchtiger und aufmerksamer auf unserer eigenen nächsten modernen Zellerfahrt sein.

4. Kapitel unserer Maiwallfahrt nach Mariazell, die Reihe wird fortgesetzt  

Quelle: "Mariazell - Das Heiligtum der Gnadenmutter Österreichs" von Franz Jantsch