Harmonie des Meeres mit der übrigen Schöpfung
Gott sah, dass das Meer „gut“ war. Wohl ist der Anblick dieses Elementes schön, wenn schimmernde Wogenberge und -kämme darin sich türmen und die Riffe von schneeweißem Gischt traufen oder wenn es über seiner Wasserfläche, die vor sanftem Windes Wehen sich kräuselt und freundlich blinkt, seiner heiteren Ruhe purpurfarbene Pracht aufleuchten lässt, die so oft von ferne das Auge des Beschauers entzückt; wenn es nicht mit gewaltigen Wogen an die nahen Ufer schlägt, sondern sie gleichsam in friedlicher Umarmung umfängt und grüßt. Wie süß ist da sein Tönen, wie lieblich sein Wellenschlag, wie traut und melodisch sein Wogenrauschen! Gleichwohl glaube ich, dass nicht die Schönheit der Schöpfung nach Maßgabe der Augen eingeschätzt, sondern bestimmt hervorgehoben werden sollte, dass sie dem Schöpfungszweck gemäß mit dem Urteil des Schöpfers übereinstimmt und harmoniert.
Gut ist das Meer vor allem, weil es das Festland mit der nötigen Feuchtigkeit versorgt, indem es ihm, wie mittels eines Adlernetzes, unversehens den wahrlich nicht unnützen Lebenssaft zuleitet. Gut ist das Meer: der gastliche Schoß der Flüsse, die Quelle des Regens, die Ablagerung des Alluvialbodens, die Einfuhrstraße für den Handel, die Verbindungsbrücke zwischen den entlegenen Völkern, der Wehr Wall gegen Kriegsgefahren, die Sperre wider die Wut der Barbaren, die Hilfe in Nöten, die Zuflucht in Gefahren, das reizende Ziel für Vergnügungsfahrten, das Heilbad zur Genesung, die Verbindungsstraße für Getrennte, die bequeme Route zum Reisen, der Rettungspfad für notleidende Auswanderer, die Einnahmequelle von Zöllen, die Lebensmittelzufuhr im Fall einer Missernte. Aus dem Meer stammt der Regen, der zur Ernte niederströmt; denn aus dem Meer wird ja durch die Sonnenstrahlen das Wasser aufgesogen und, was an ihm leicht befunden wird, fortgeführt. Und je höher es dann emporgetragen wird, um so mehr verdichtet es sich in der Schattenkühle der Wolken und wird zu Regen, der nicht nur der Dürre der Erde Einhalt tut, sondern auch die durstenden Gefilde befruchtet.
Was sollte ich die Inseln aufzählen, die das Meer so vielfach wie Perlenschmuck im Saum eines Kleides birgt, wo jene, die den Lockungen der Welt Lust entsagen, in treuer Befolgung ihres Vorsatzes der Enthaltsamkeit lieber ein weltverborgenes Leben führen und den gefährlichen Abwegen dieses Lebens ausweichen? So ist also das Meer ein stilles Heim der Enthaltsamkeit, eine Schule der Entsagung, ein Asyl des Lebensernstes, ein Port der Sicherheit, eine Stätte der Ruhe im Diesseits, ein Verzicht auf diese Welt; sodann ein Ansporn der Frömmigkeit für die gläubigen und frommen Männer, so dass mit dem Rauschen der Wogen, die sanft ans Ufer schlagen, der Sang der Psalmenbeter wetteifert, die Inseln mit dem friedlichen Reigen der heiligen Fluten freudig einstimmen und von den Lobgesängen der Heiligen widerhallen. Wie wäre es mir möglich, die ganze Schönheit des Meeres zu ergründen, wie sie der Schöpfer schaute? Wozu auch mehr?
Ambrosius: Sechstagewerk 3,21-23