Klare Diagnosen eines Wiener Pfarrers vor fast 50 Jahren 

Quelle: Distrikt Österreich

Prälat Dr. Erwin Hesse - Klare Diagnosen eines Wiener Pfarrers vor fast 50 Jahren 

Hochwürdige Mitbrüder, ehrwürdige Brüder und Schwestern im Ordensstand, liebe Gläubige, Freunde und Wohltäter! 

Von 1946 bis 1979 war Prälat Dr. Erwin Hesse Pfarrer in der bekannten Wiener Stadtpfarre St. Rochus. 1931 von Kardinal Friedrich G. Pfiffl zum Priester geweiht, als Religionslehrer und Hochschulseelsorger an der Wiener Peterskirche wirkend, wurde er 1939 von der Gestapo verhaftet und später nach Brünn verbannt, wo er sich um verwundete Theologen kümmerte und eine reiche seelsorgliche Tätigkeit entfaltete. Bald entstanden dort auch seine bekannten Bibelrunden, Prälat Hesse war ein ausgezeichneter Exeget.

Anlässlich seiner Installation als Pfarrer von St. Rochus bekräftigte er: „Mein Programm ist einfach. Es besteht aus den ewigen Wahrheiten, die im Katechismus stehen. Und ebenso alt sind die Methoden, deren ich mich befleißigen will. Es sind die Methoden des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe.“ Prälat Hesse, zunächst ein Priester ganz und gar im Geiste des Konzils hat anlässlich eines selber gehaltenen Vortrags eine Wendung von 180° gemacht und wurde zu einem der großen, mit geistigen Waffen kämpfenden, Verteidigern der Tradition in Österreich, ein Wegbereiter für das Wirken auch unserer Priesterbruderschaft, mit der er bis zu seinem Tode freundschaftlich sehr eng verbunden war. Regelmäßig hielt er im Wiener Priorat geistliche Vorträge, zelebrierte die Hl. Messe und war auch im hohen Alter ein sehr beliebter Seelsorger.

Am 9. März 1991 durfte er sein Diamantenes Priesterjubiläum im alten Ritus in St. Rochus feiern. Dabei kam auch seine „Missa brevissima pro pace“, die er im Jahre 1944 in Brünn geschaffen hatte, zur Aufführung. Der damalige Rektor der Wiener Peterskirche betonte dabei, dass die überlieferte Hl. Messe die Priester jung mache! Noch aus seiner Zeit als Pfarrer von St. Rochus entstand um 1975 eine bedeutende Publikation, die in der Aufsatzsammlung von Hans Pfeil „Unwandelbares im Wandel der Zeit, 19 Abhandlungen gegen die Verunsicherung im Glauben“ erschienen ist. Gerne möchte ich Ihnen einige sehr wichtige Gedanken von Prälat Dr. Hesse vorstellen, die nach Jahrzehnten nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. 

 

Die Kirche der Gegenwart ist eine Kirche in der Krise – der Felsen Petri bebt 

Es ist die Krise eines totalen Progressismus, der zur „Selbstzerstörung der Kirche“ (Paul VI.) führt. Diese Krise ist gekennzeichnet durch ihr Ausmaß, ihre Intensität und ihre Totalität. Sie ergreift das gesamte kirchliche Leben, fast jedes Dogma, sämtliche Prinzipien und Gebote der Moral, Sinn und Form der Liturgie, Recht und Wirken der Hierarchie. Immer wieder erleben wir ein aburteilendes Nein zur vorkonziliaren Vergangenheit und im Gegensatz dazu ein Ja zur Kirche nur um den Preis einer völlig andersgearteten Zukunft. 

Unmittelbarer Anlass und auslösendes Moment der Krise sind die Devisen des Zweiten Vatikanischen Konzils, etwa die konziliare Entschlossenheit zum Ökumenismus, die Losung des Papstes „aggiornamento“, Anpassung an Welt und Zeit. Niemand kann heute (1975!) mehr bezweifeln, dass die Kirche in einer, seit langem nicht für möglich gehaltenen Weise wankt, dass selbst der Felsen Petri bebt. 

Ursache der Krise ist die nicht überwundene Aufklärung, die machtvoll in Theologie und kirchliches Leben eingedrungen ist. Es ist zum Dammbruch gekommen. Der katholische Gegenstoß in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war anscheinend nicht erfolgreich genug. Darum erschloss sich ein dynamischer Progressismus der modernen Welt und ihrem Denken. Hesse nennt als Schlüsselfigur immer wieder den protestantischen Theologieprofessor Rudolf Bultmann, der ein ähnlicher „Alleszermalmer“ war wie Immanuel Kant zu seiner Zeit. Der Einfluss des Denkens Bultmanns auf die Theologie der Gegenwart ist immens, damit aber auch auf Priester und Gläubige.  

 

Immanentismus - Säkularismus - Hominismus - Humanismus 

Die Ansichten Bultmanns und vieler anderer, auch katholischer Theologen beinhalten das Bekenntnis zum sogenannten Immanentismus, das heißt zur Auffassung, dass es für den Menschen praktisch nur die, durch seine innere und äußere Wahrnehmung erfahrbare, durch exakte Wissenschaft wie Physik, Chemie, Biologie, Psychologie und Soziologie konstatierbare und kontrollierbare Wirklichkeit gäbe. Diese sei derart geschlossen, dass kein Gott, kein Engel, kein Teufel in sie hineinwirken und damit aus ihr erkennbar werden könne. Es gäbe demnach nur die eine horizontale Dimension des Daseins, in der wir uns bewegen und keine vertikal sie überragende Transzendenz, also keine Übernatur, kein Jenseits, keine höhere Welt. Die Theologie Bultmanns und vieler nachfolgender Theologen ist letztlich die perfekte „Gott-ist-tot-Theologie“. Was die Bibel berichtet, sind ohnehin Märchen und Legende, auch das Credo der Kirche ist Mythologie. Ist das nicht alles heute im 21. Jahrhundert zur Vollendung gekommen, nicht mehr nur bei einigen sogenannten Gelehrten, sondern bei fast allen unserer Zeitgenossen, sofern diese nicht in ein anderes Extrem abgestürzt sind, in Esoterik oder ähnliche Erscheinungen? 

Die praktische Konsequenz der immanentistischen Theorie der gott-losen Welt ist der Säkularismus, die totale Verweltlichung des Lebens. Diese totale Säkularisierung ist seit langer Zeit gefordert, die Verweltlichung des gesamten Lebens. Jede sakrale Aussonderung und Weihe besonderer Personen (Klerus, Ordensstand) und besonderer Orte (Dome, Kirche, Kapellen) etc., welche den Kontakt mit Gott, mit dem Übernatürlichen vermitteln, sind nun eigentlich sinnlos. Dass damit auch der Zölibat völlig entwertet wurde, versteht sich von selbst. Es darf nur noch das Profane bestehen, der Immanentismus führt zu einem vollkommenen Säkularismus auf den verschiedenen Ebenen. 

Die Verneinung des göttlichen Einwirkens in die Welt macht den Menschen zu ihrem Mittelpunkt, der ob seiner Autonomie zu keiner Sünde mehr fähig ist. Es kam zur Proklamation des Prinzips Mensch, der absoluten Anthropozentrik, die so sehr das ganze kirchliche Denken, die Predigt und die Lehre erfasst hat. Wir können es auch Hominismus nennen, in ihm wurde der Mensch endgültig zum Maß aller Dinge. Falsche Prinzipien und der enorme Verlust des katholischen Glaubens führen schließlich zu einer neuen Moral. Es gibt dann im strengen Sinn des Wortes keine Sünde mehr, denn den abwesenden Gott kann man ja nicht persönlich treffen, also in keiner Weise beleidigen. Es gibt keine Gebote Gottes mehr, nur noch Vergehen gegen die Menschen und deren Autonomie und gegen die selbstgeschaffenen neuen Gesetze unserer Tage. Niemand braucht sich mehr abquälen, irgendein göttliches Ideal höchster Vollkommenheit zu erreichen. Es bedarf keiner Vergebung von Seiten Gottes mehr, keine Beichte, kein Kreuzesopfer und in Folge kein Messopfer, sondern höchstens des Verzeihens durch die Menschen.  

Dieser Hominismus deutet das Christentum als rein humanistisches Ideal der Mitmenschlichkeit, das sich in Geschwistergeist und Sozialengagement erschöpft, aber dann durch innerkirchliche Revolution zum Sieg geführt werden muss.  

 

Demokratisierung der Kirche – Sogenannte Synoden

In früheren Zeiten fanden zahlreiche Synoden statt, Provinzialkonzilien, die alle ein großer Segen für die Ortskirchen waren. Das war aber etwas ganz anderes als heute! 

Die Methode zur Durchführung der humanistischen Revolution ist die komplette Demokratisierung der Kirche, die letzten Endes den gottlosen Geist der französischen Revolution, des Liberalismus und vieler Irrtümer der letzten Jahrhunderte in sich trägt, eine völlige Umorientierung und Umerziehung aller Katholiken, auf übernatürlicher Ebene und letztlich auch auf natürlicher Ebene, wie wir heute feststellen. 

Grundakte der Demokratie in der Kirche sind Recht auf Wahl, ständige Kontrolle der Gewählten, Befugnis zur jederzeitigen Absetzung der Gewählten. Die Demokratisierung speziell der kirchlichen Ämter folgt aus der seit Jahrhunderten nun fälligen Entmythologisierung. Weil nämlich Gott und Jesus Christus nach dem Immanentismus nicht auf die Welt wirken, kann und darf es künftig kein Amt von Gnaden Gottes mehr geben, auch nicht in der Kirche. Nur der Mensch verleiht Auftrag und Würde, das bedingt zugleich auch einen neuen Gehorsamsbegriff, eines der größten Probleme in der katholischen Kirche seit Jahrzehnten. 

Sie sehen, wie klar der Seelsorger und Theologe Erwin Hesse die tiefen Probleme erfasst hat!  

 

Die Stunde der Glaubenden – Wir müssen uns sammeln 

Die Krise der Kirche heute kann und muss aus dem Glauben der wirklich Glaubenden überwunden werden, so forderte es Prälat Dr. Hesse vor 50 Jahren. Wir müssen uns sammeln. Wir müssen feste Gemeinschaften des Geistes und des Herzens bilden. Wir dürfen uns aber nicht zusammenschließen, um uns von den anderen abzuschließen und zurückzuziehen. Wider alle Hoffnung hat schon Abraham voll Hoffnung geglaubt - an der Verheißung Gottes zweifelte er nicht im Glauben, nein, er erwies sich stark im Glauben, indem er Gott die Ehre gab und vollkommen überzeugt war, dass Gott auch erfüllen kann, was Er verheißen hat (Röm 4, 18ff). Wir sind voll Zuversicht, denn „Das ist der Sieg, der die Welt überwindet, unser Glaube“ (1 Joh 5,4). 

Die faktische Entwicklung der letzten Jahrzehnte widerlegt sehr klar den Immanentismus, der nicht zu einer neuen Blüte in der Kirche, sondern zum Verfall geführt hat. Aus dem angekündigten Frühling nach dem Konzil ist in Wahrheit ein kalter, eisiger Winter in der Kirche geworden. Waren also doch mehr die Feinde der Kirche und der Wahrheit am Werk? Und die große Mehrheit war blind? Wir sehen es von Jahr zu Jahr mit mehr Klarheit. 

Danken wir Prälat Dr. Erwin Hesse für sein klares Denken, für seinen Mut, gerade in der so schwierigen Erzdiözese Wien, wo man so vielen Problemen ausgesetzt war. Er rüttelt uns auf, uns auch geistig mit der Krise der Zeit zu befassen, was ich besonders auch der jungen Generation nahelegen möchte. Es ist wichtig, dass in unseren Gemeinden Studienkreise stattfinden, Bildungsveranstaltungen. Beim Treffen der höheren Oberen der Bruderschaft in Econe Anfang Juli dieses Jahres wurde dies auch in ganz besonderer Weise gefordert. Vor allem wurden zwei sehr grundlegende Werke empfohlen, die alle lesen sollen, die erneut gründlich studiert und erarbeitet werden müssen: Die Bücher „Offener Brief an die ratlosen Katholiken“ von Erzbischof Marcel Lefebvre und „Katechismus zur kirchlichen Krise“ von P. Matthias Gaudron. Ich möchte alle Priester und Gläubigen dazu herzlich einladen. Es ist wichtig, dass wir die heutige Situation gut verstehen, um recht mit ihr umgehen zu können. 

 

Rosenkranzmonat Oktober

Ich möchte Sie alle besonders einladen und auch ermuntern, im Oktober wirklich täglich den Rosenkranz und, wenn Sie Zeit haben, großzügig den ganzen Psalter zu beten und auch die Lauretanische Litanei, wie es Papst Leo XIII. angeordnet hat. Beten Sie ihn in der Kirche, in der Familie oder auch öffentlich auf unseren Straßen und Plätzen. „Unsere einmütigen und inständigen Bitten wird die himmlische Patronin des menschlichen Geschlechtes gern aufnehmen, und bereitwillig demselben Fortgang in der Tugend erflehen, dass die Verirrten sich wieder dem Wege des Heils zuwenden und sich bekehren, dass Gott, der Rächer allen Frevels, sich gnädig und barmherzig zu uns neige, alle Gefahren von der Kirche und der öffentlichen Gesellschaft fernhalte und uns den erwünschten Frieden wieder verleihe.“ (Leo XIII., Enzyklika Supremi Apostolatus, 1883)  

Zum Christkönigsfest am letzten Oktoberwochenende möchte ich alle herzlich zum Christkönigstreffen der Katholischen Jugendbewegung nach Wien einladen! 

Mit meinem priesterlichen Segen, 

P. Johannes Regele 

Jaidhof, am 1. Oktober 2023, Rosenkranzsonntag